Der Windsänger
dünnen Rauchsäule, die aus einem kleinen Loch im Boden aufstieg, konnten die Kinder weder ein Haus noch irgendeine andere Unterkunft entdecken. Sie blieben zitternd und erschöpft stehen und sahen sich ängstlich um.
»Folgt mir, kleine Schmächtis. Passt auf die Stufen auf.«
Mit diesen Worten stapfte er direkt in den Boden hinein. Kestrel, die ihm als Erste folgte, stellte fest, dass sich im Schlamm unter ihren Füßen plötzlich ein Loch auftat. Eine Treppe führte nach unten.
»Mund zu«, warnte Willum. »Augen zu.«
In einem Moment spürte Kestrel noch den Schlamm am Hals, im nächsten war Schlamm in Mund, Nase und Augen gedrungen, und dann war sie auch schon in ein verräuchertes unterirdisches Zimmer hinabgestiegen, das von Feuerschein erleuchtet wurde. Bowman folgte ihr und als Letzter kam Mumpo. Beide Jungen spuckten und wischten sich den Schlamm aus den Augen. Über ihnen hatte sich der Schlamm wieder wie ein Deckel über den Einstieg zur Treppe gelegt.
»Na, Willum«, sagte eine mürrische Stimme, »du hast dir man viel Zeit gelassen.«
»Ja, aber guck mal, Jum!«
Willum machte einen Schritt zur Seite und gab den Blick auf die Kinder frei. Eine dicke, schlammverschmierte Frau saß mit finsterer Miene auf einem Schemel am Feuer und rührte in einem Topf.
»Na, was hast du denn da?«, wollte sie wissen.
»Schmächtis, meine Liebe.«
»Schmächtis, wirklich?« Sie erhob sich schwerfällig und stapfte zu ihnen herüber, tätschelte ihnen der Reihe nach mit ihrer schlammigen Hand die zitternden Wangen. »Arme Würmchen.« Dann drehte sie sich zu Willum um und sagte streng: »Zähne!«
Willum zeigte gehorsam die Zähne. Sie waren gelbbraun verfärbt.
»Tixy. Ich wusste es.«
»Nur ein winziges Blättchen, mein Liebling.«
»Wo doch morgen Ernte ist. Schäm dich, Willum! Du solltest dich auf der Stelle hinlegen und sterben.«
»Sieh mal, Schlammnüsse, Jum«, wollte er sie beschwichtigen. Er band seine Nussstrümpfe los und fischte überraschend viele braune Klumpen heraus.
Jum trottete zum Feuer zurück ohne die Früchte seiner harten Arbeit zu würdigen.
»Aber mein Schatz! Meine Zuckerschnecke! Mein Wackelpudding!«
»Komm mir ja nicht so! Du und dein Tixy!«
Die Kinder, von denen im Augenblick niemand Notiz nahm, schauten sich neugierig im Zimmer um. Es war eine große, runde Höhle mit einem kuppelförmigen Dach, an dessen Spitze der Rauch des Feuers durch ein Loch entwich. Das Feuer brannte auf einem tischhohen Steinsockel in der Mitte des Raumes und war von einem Eisengitter umgeben. Auf allen Seiten und in jeder Höhe konnte man daran Töpfe und Kessel über das Feuer hängen. Hoch oben dampfte ein großer Kessel, weiter unten blubberte und gluckerte ein Eintopf.
Neben dem Feuer stand eine Holzbank, auf der Willums Verwandte saßen. Alle waren gleich dick und gleich mit Schlamm bedeckt, so dass man sie nur nach der Größe voneinander unterscheiden konnte. Tatsächlich waren es ein Kind, eine Tante und ein Großvater, die die Neuankömmlinge neugierig anstarrten. Nur der Großvater schaute zu Willum hinüber und zwinkerte ihm immer wieder zu.
Auf dem Boden der Höhle lagen weiche schlammverschmierte Teppiche, die durcheinander gewühlt waren wie ein ungemachtes Bett.
»Pollum!«, rief Jum, die den Eintopf umrührte. »Mehr Schalen!«
Das Schlammkind sprang auf und rannte zu einem Wandschrank.
»Und – guter Tag, Willum?«, fragte der alte Mann zwinkernd.
»Ganz ordentlich«, erwiderte Willum und zwinkerte zurück.
»Du willst ja wohl kein Abendessen«, bemerkte Jum und schlug gegen den Topf. »Du bist sicher noch in Tixy-land.«
Willum schlang die Arme um sie und drückte sie an sich. »Wer liebt seine Jum?«, schmeichelte er. »Wer ist zu seiner süßen Jum nach Hause gekommen?«
»Wer hat sich den ganzen Tag nicht blicken lassen?«, murrte Jum.
»Jum, Jum, mein Herz macht summ!«
»Schon gut!« Sie legte ihre Schöpfkelle hin und ließ sich von ihm auf die Wange küssen. »Und was sollen wir jetzt mit deinen Schmächtis machen?«
»Ihre armen kleinen Bäuchelchen füllen«, verkündete die Tante, die bis jetzt geschwiegen hatte.
»Genau«, stimmte ihr Willum zu. Und damit setzte er sich zu dem alten Mann und unterhielt sich leise mit ihm.
Pollum stellte Schalen auf den Tisch und Jum füllte sie mit heißem Eintopf.
»Setzt euch man hin, Schmächtis«, sagte sie nun mit freundlicherer Stimme.
Also
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