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Der Windsänger

Titel: Der Windsänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Nicholson
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den Weg zu finden.« 
    »Hm«, sagte sie, nachdem sie einen Augenblick nachgedacht hatte. »Am besten redet ihr mit der Alten Königin. Sie wird euch weiterhelfen können.« Sie zeigte mit ihrem dicken Finger auf einen Hügel, der in einiger Entfernung aus dem See ragte. Auf der Kuppe des Hügels stand ein niedriger Zaun aus Holzpfählen. »Ihr findet sie da drüben im Palast.« 
    »Wird man uns zu ihr lassen?« 
    Jum machte ein erstauntes Gesicht. »Warum denn nicht? Ja, redet ihr man mit der Alten Königin.« 
    Also dankten die Zwillinge ihr und wanderten am Feldrain entlang auf den Palast zu. Um sie herum waren alle Schlammmänner guter Dinge, sie lachten, sangen und tanzten sogar unbeholfen herum. Die Tixablätter weckten in ihnen anscheinend eine Zuneigung für die ganze Menschheit, denn als die Zwillinge vorbeikamen, winkten die Leute ihnen zu, lächelten sie an und umarmten sie sogar. 
    Eine Weile später kamen sie an mehreren Schlammfeldern vorbei, auf denen der Schlamm so tief war, dass man zur Ernte Flöße benutzen musste. Diese lagen auf dem See und wurden langsam von Seilen vorangezogen, die um große Winden gewickelt waren. Während der Ernte hockten die Pflücker vorgebeugt am Rand des Floßes und griffen mit den Armen tief in den Schlamm hinein. Da die Arbeit für diesen Tag beendet war, ruhten die Flöße auf dem See und niemand betätigte die Winden. Diese Gelegenheit nahmen die mutigeren jungen Schlammmänner wahr, um sich im sportlichen Wettstreit beim Schlammspringen zu messen. 
    Bowman und Kestrel blieben verwundert stehen und schauten zu. An den Ecken eines Floßes waren lange, schmale Pfähle befestigt worden, die etwa sechs Meter in die Luft aufragten. Die Schlammspringer banden sich Seile um die Taille und kletterten wie Affen an den Pfählen empor. Oben angekommen, klammerten sie sich schwankend fest und streckten zuerst die eine, dann die andere Hand aus, um ihren Mut zur Schau zu stellen. Dann stürzten sie sich mit einem lauten Schrei in den Schlamm hinab, das Seil schlängelte hinter ihnen. Der Schlamm war an dieser Stelle so dünnflüssig, dass sie sofort unter der Oberfläche verschwanden. Einige atemberaubende Augenblicke lang geschah überhaupt nichts. Dann zuckte und ruckte das Seil, der Schlamm geriet in Wallung und schließlich tauchte der Schlammspringer unter tosendem Beifall wieder auf. Diejenigen, die am längsten unter der Oberfläche aushielten, wurden am lautesten beklatscht. 
    Kestrel betrachtete die Springer voller Bewunderung, als sie eine bekannte Gestalt an einem der Pfähle hinaufklettern 
    sah. 
    »Da ist Mumpo!« 
    Er war es tatsächlich. Neben den anderen Schlammspringern wirkte er dünn und zerbrechlich, doch er war der Wagemutigste von allen. Er schaukelte an der Spitze des Pfahls herum, ließ sich los und fing sich wieder, als wäre es eine Kleinigkeit. Und als er schließlich tauchte, sprang er weiter als alle anderen, blieb länger unten im Schlamm und erhielt den größten Beifall beim Auftauchen. 
    Die Zwillinge staunten. 
    »Wie hat er das nur gelernt?« 
    »Mumpo!«, rief Kestrel. »Mumpo! Hier sind wir!« 
    »Kess! Kess!« 
    Als er sie entdeckt hatte, sprang er noch einmal, nur um es ihnen vorzuführen. Dann band er sein Seil los und kam zu ihnen gehüpft. 
    »Habt ihr mich gesehen?«, rief er. »Habt ihr mich gesehen?« 
    Er machte einen ungeheuer zufriedenen Eindruck, grinste und sprang herum wie ein junger Hund. Bowman sah die gelblichen Flecken auf seinen Zähnen zuerst. 
    »Er hat diese Blätter gegessen.« 
    »Ich hab dich lieb, Kess«, sagte Mumpo und umarmte sie. »Ich bin so froh, bist du auch froh? Ich will, dass du genauso froh bist wie ich.« Und er tarnte um sie herum, lachte und wedelte mit den schlammverkrusteten Armen. 
    Bowman bemerkte Kestrels Gesichtsausdruck, doch bevor sie etwas sagen konnte, flüsterte er: »Lass ihn, Kess.« 
    »Er ist verrückt geworden.« 
    »Wir können ihn nicht hier lassen.« Er hielt Mumpo an seinem ausgestreckten Arm fest, als er vorbeiwirbelte. »Komm, Mumpo. Wir gehen zur Alten Königin.« 
    »Ich bin so froh! Froh, froh, froh!«, gluckste Mumpo. 
    »Ehrlich gesagt«, meinte Kestrel, »er gefiel mir besser, als er noch geheult hat.« 
    Doch Bowman dachte daran, mit welcher Geschmeidigkeit und Eleganz Mumpo vom Pfahl gesprungen war. Bowman hatte einen völlig neuen Eindruck von Mumpo bekommen. Mumpo war wie eine Wildgans: etwas unbeholfen auf dem Boden, aber wunderschön in der

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