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Der Windsänger

Titel: Der Windsänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Nicholson
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und ließ die Oberfläche des wässrigen Schlamms bis in die neblige Ferne schimmern. Über diese weite lichtbenetzte Fläche bewegten sich Hunderte von geschäftigen kleinen Menschen. Sie arbeiteten in Reihen und Gruppen auf gewaltigen Flößen. Die Leute scharten sich um große offene Feuer und riesige Apparate, die wie Winden aussahen. Und wo immer man sich versammelt hatte, wurde gesungen. Ein Lied folgte auf das andere, die Lieder klangen wie Seemannslieder und wie diese waren sie Arbeitslieder. Denn die Schlammmenschen waren bei der Arbeit, und sie arbeiteten hart. 
    »Es stinkt gar nicht mehr«, stellte Kestrel überrascht fest. 
    »Doch«, entgegnete Bowman. »Wir haben uns nur daran gewöhnt.« 
    Sie schauten sich nach den alten Kindern um, doch sie waren nirgendwo zu sehen. Dann hielten sie nach jemand Bekanntem Ausschau, aber die Schlammmenschen sahen für sie alle gleich aus: dick und schlammig. Also folgten sie Pollum vorsichtig und etwas ängstlich über einen Damm zum nächsten Feuer. Unterwegs beobachteten sie die Leute bei der Arbeit und begriffen allmählich, was sie taten. 
    Die Schlammnüsse wuchsen auf Feldern unter dem weichen Schlamm. Sie wurden geerntet, indem man langsam über diese Felder wanderte, sich bückte und die Arme in den Schlamm tauchte. Lange Reihen von Schlammmenschen bewegten sich systematisch über den See: Gleichzeitig machte ein jeder einen Schritt nach vorn, beugte sich vor und steckte einen Arm in den Schlamm. Die Nüsse, die hervorgeholt wurden, waren ungefähr so groß wie Äpfel. Die Leute ließen sie in Holzeimer fallen, die sie hinter sich herzogen. Beim Gehen und Pflücken sangen sie ihr Lied und so konnte die ganze Schlange im Rhythmus bleiben. 
    Der Anblick war wirklich beeindruckend. Der Gesang schallte bis zum Höhlendach hinauf und kehrte als tiefes, dumpfes Echo zurück. Die Arbeiter an den großen Feuern sangen ebenfalls, allerdings klang das etwas holpriger, weil sie die verschiedensten Lieder durcheinander sangen. Sie hatten auch nicht so viel zu tun – manche schienen überhaupt nicht zu arbeiten, lachten dabei aber viel. Einige rösteten Schlammnüsse in der Glut und harkten sie mit langen Stöcken wieder heraus. Ein paar andere schabten getrockneten Schlamm von den Schlammnüssen. Und eine dritte, sehr große Gruppe von Leuten trug Eimer hin und her. 
    Pollum nahm drei leere Eimer, gab Bowman und Kestrel je einen und sagte: »Folgt mir. Ich zeig euch, was ihr tun müsst.« 
    Sie war ganz sicher, dass die beiden auch bei der Ernte helfen würden. Und da Willum nirgendwo zu sehen war und alle anderen eifrig arbeiteten, kam es ihnen undankbar vor, sich zu weigern. Also gingen sie mit Pollum auf das Nussfeld und befolgten ihre Anweisungen. 
    Die Schlammkinder hatten die Aufgabe, die vollen Holzeimer zu leeren. Die Pflücker arbeiteten sich durch ihre Reihen, und wenn ein Eimer voll war, riefen sie: »Eimer voll!« Dann war gleich ein Kind mit einem leeren Eimer zur Stelle, das den vollen wegnahm. Die Schlammnüsse wurden in hohen Haufen rings um die Feuer gesammelt, die am Feldrain entzündet worden waren, und die Kinder mussten nicht allzu weit laufen. Dennoch stellten Bowman und Kestrel bald fest, dass es eine sehr anstrengende Arbeit war. Die vollen Eimer waren schwer und mussten durch den dicken Schlamm getragen werden, der ihnen bis über die Waden reichte. Wenn sie beim Feuer ankamen, taten ihre Arme und Beine weh und sie schwitzen unter ihrer Schlammschicht. Doch nach einer Weile fanden sie heraus, dass ein bestimmter Rhythmus die Arbeit erleichterte, und der Gesang der Pflücker heiterte sie trotz ihrer Erschöpfung auf. Meistens konnten sie sich einen Augenblick ausruhen, bevor wieder jemand »Eimer voll!« rief und das Schleppen von neuem begann. Wenn sie sich dem Feuer näherten, spürten sie seine angenehme Hitze und hörten das Lachen der Schlammmänner, die die Nüsse aus der Glut harkten. Dann kam der herrliche Moment, wenn der Eimer ausgekippt wurde und ihre Körper plötzlich federleicht zu werden schienen. Auf dem Weg über das Feld flogen sie dann förmlich, so unbeschwert wie beim Tanz zwischen den Sonnenstrahlen und Schatten, die den See sprenkelten. 
    Als sie das Gefühl hatten, einen ganzen langen Tag gearbeitet zu haben, und das Sonnenlicht verblasst war, bemerkten die Zwillinge, dass sich die Nusspflücker aufrichteten, sich die schmerzenden Rücken rieben und auf die Feuer zusteuerten. 
    »Abendessen«, verkündete

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