Der Windsänger
gingen sie Hand in Hand das letzte Stück des Großen Weges entlang und auf das Feuer zu.
20 Ins Feuer
Die Zwillinge näherten sich der klaffenden Felsspalte, sie spürten die Hitze des Feuers und der beißende Rauch stieg ihnen in die Nasen. Warum hatten die alten Leute keine Angst? Wie konnten sie so beherzt mitten hineinlaufen? Ohne Antwort darauf gingen die beiden weiter auf die Flammen zu und ihre Angst zeigte sich nur darin, dass sie sich fester an den Händen hielten.
Als der Feuerschein zu hell wurde, machten sie die Augen zu. Die Hitze war stark, aber nicht sengend. Die Geräusche der Außenwelt, der Berge und des Waldes, wurden allmählich immer leiser. Nicht mal ihre eigenen Füße, die sich so zielbewusst den Flammen näherten, schienen Geräusche zu machen.
Jetzt gab es kein Zurück mehr. Nur noch ein paar Schritte…
Plötzlich ließ die Hitze nach, eine sanfte Kühle trat an ihre Stelle, die sie von allen Seiten zu umzüngeln schien. Der Feuerschein blendete sie bei geschlossenen Augen mit seinem blutrotem Licht. Doch auch ohne es zu sehen wussten sie, dass sie ins Feuer getreten waren und in kühlen Flammen gebadet wurden.
Unversehrt schritten sie weiter, das gleißende Licht wurde schwächer und sie spürten die streichelnde Kühle nicht mehr. Sie öffneten die Augen und stellten fest, dass die Flammen nicht mehr so hoch waren. Ein paar Schritte noch, dann hatten sie das Feuer hinter sich gelassen und ein Schattenreich betreten. Wo sie waren, vermochten sie allerdings nicht zu sagen.
Ihre Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit und sie konnten Wände eines breiten Ganges ausmachen, an dessen Ende eine Flügeltür war. Die Wände hatten eine Holztäfelung und der Boden war gefliest. Anscheinend standen sie im Flur einer herrschaftlichen Villa.
Sie drehten sich um und erlebten eine weitere Überraschung: Hinter ihnen loderte das Feuer, doch es war nur ein kleines Kohlenfeuer, das in der Feuerstelle eines Steinkamins brannte. Waren sie dort herausgekommen?
Der lange Flur führte vom Kamin geradewegs zu den Türen. Fenster gab es hier nicht. Sie konnten nur in eine Richtung gehen.
Ganz selbstverständlich machten sie sich Hand in Hand zu der Flügeltür auf. Bowman drückte die Klinke herunter und stellte fest, dass die Tür nicht verschlossen war. Vorsichtig öffnete er sie einen Spalt weit und spähte dahinter. Noch ein Gang.
Auf beiden Seiten von diesem Flur, der Verlängerung des ersten, gingen viele Zimmer ab. Kerzenschein erleuchtete diesen kunstvoller geschmückten Gang. Die dunkle Holztäfelung zierten geschnitzte Blatt- und Blumenmuster. Zwischen den vielen Türen hingen ausgeblichene Wandteppiche, die Jagdszenen zeigten. In der Mitte des Ganges lag ein fein gewebter Teppich.
Die Zwillinge gingen auf dem Teppich entlang und schauten rechts und links durch die offenen Türen. Sie warfen flüchtige Blicke auf verdunkelte Wohnzimmer, in denen die Möbel mit Staublaken bedeckt waren.
Aus Angst vor dem, was sie hier finden könnten, bewegten sie sich so leise wie möglich. Instinktiv lenkten sie ihre Schritte auf das Ende des Flures zu, an dem sich wiederum eine Flügeltür befand. Unter dieser Tür bemerkten sie einen Lichtschimmer, alle anderen Zimmer jedoch, an denen sie vorbeikamen, lagen im Dunkeln.
Beim Gehen hörten sie nichts als ihre eigenen klopfenden Herzen. Die Villa – falls es überhaupt eine Villa war – schien verlassen zu sein. Und doch brannten Kerzen in den Kerzenhaltern an den Flurwänden und auf dem Teppich unter ihren Füßen lag kein Staub.
Am Ende des Ganges lauschten sie an der Flügeltür. Es war nichts zu hören. Leise drückte Kestrel die Klinke herunter und öffnete. Die Tür knarrte leicht in den Angeln. Die Zwillinge erstarrten. Doch nichts geschah – keine Schritte, keine Rufe. Also öffnete sie die Tür ganz und sie betraten das Zimmer dahinter.
Es war ein Esszimmer, in dem zum Abendessen angerichtet war. Ein vornehmer Esstisch stand in der Mitte des Raumes, auf dem Silber und Kristall funkelten. Der Tisch war für zwölf Personen gedeckt. Die Kerzen brannten in zwei Armleuchtern und in dem prächtigen Lüster an der Decke. Die Kristallkrüge waren mit Wasser und die silbernen Brotkörbe mit Brot gefüllt. Kohlenfeuer brannten in den beiden eleganten Kaminen an gegenüberliegenden Seiten des Raumes. An den fensterlosen Wänden hingen Porträts von Grafen und Gräfinnen längst vergangener Zeiten. Es gab nur eine
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