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Der Windsänger

Titel: Der Windsänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Nicholson
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verantwortlich. Ich bin stolz ein Bürger von Aramanth zu sein. 
    Hiermit verspreche ich, von nun an alles in meiner Macht Stehende zu tun, um mich dieser Ehre würdig zu erweisen. 
    »Es könnte schlimmer sein«, stellte Hanno seufzend fest. Ira Haths Erklärung lautete folgendermaßen: 
    Liebe Mitbürger, 
    vielleicht wissen Sie, dass ich kürzlich zwei meiner Kinder verloren habe. Die seelische Belastung dieses Verlustes hat zu einem psychischen Zusammenbruch geführt, in dessen Verlauf ich ein Benehmen gezeigt habe, für das ich mich jetzt schäme. Ich bitte Sie um Vergebung und um Ihr Verständnis. Ich verspreche mich in Zukunft so anständig und sittsam zu verhalten, wie es sich für eine Ehefrau und Mutter gehört. 
    Sie warf das Papier zu Boden. »Das sag ich nicht!« Hanno hob es wieder auf. »Das sind doch nur Worte.« 
    »O meine kleinen Lieblinge«, rief Ira und fing wieder an zu weinen. »Wann werde ich euch alle wieder in den Armen halten können?« 

23 Die Geißel der Ebenen 
    Die drei Kinder wurden von der Morgendämmerung geweckt und hörten gleich die Musik der Kapelle. Mit einem Blick über die Schlucht stellten sie fest, dass die Saren noch immer in den Abgrund marschierten. Erschüttert traten sie an den Rand der Schlucht und schauten in die Tiefe. Unten war das Flussbett ganz weiß, wie von Schneewehen bedeckt. Die schönen jungen Saren fielen in dieses Weiß hinein und es stieg allmählich immer höher. Irgendwann – vielleicht schon bald – würden die Saren über ihre eigenen Toten zur anderen Seite hinübermarschieren. 
    Ohne weitere Worte zu verlieren drehten sich die drei Freunde um, kehrten auf den Großen Weg zurück und machten sich in der kühlen Morgenluft nach Aramanth auf. Kestrel hatte sich einen der Goldfäden aus dem Haar gezogen und sich die silberne Stimme des Windsängers daran um den Hals gehängt. Nun lag sie unter ihrem Hemd, wo ihr Körper sie wärmte, und kitzelte beim Gehen auf der Haut. Da sie sich nun auf dem Rückweg befanden, dachte Kestrel bereits an Aramanth, an ihre Eltern und ihre kleine Schwester. Dies gab ihren Beinen Kraft, die sie dringend brauchte, denn Bowman ging in zügigem Tempo voran. 
    »Wir müssen Aramanth vor ihnen erreichen«, erklärte er. 
    Zwar wurden sie jetzt nicht mehr von den Saren verfolgt, doch während sie den Großen Weg entlangeilten, stellte sich ihnen ein neues Problem, über das keiner von ihnen sprach. Mit Mumpo hatte sich wirklich eine große Wandlung vollzogen, denn auch er sagte nichts, obwohl seine Bauchschmerzen mit jeder Stunde schlimmer wurden. Sie hatten Hunger. Einen ganzen Tag und eine ganze Nacht lang hatten sie nichts gegessen, und nun war ein weiterer halber Tag vergangen. Ihre Provianttaschen waren leer und an den Bäumen, die ihren Pfad säumten, hingen keine Früchte. Ab und zu konnten sie aus einem Bach am Wegesrand trinken, doch sie wussten, dass sie auch auf diese Erfrischung würden verzichten müssen, wenn sie erst einmal die große Wüste erreicht hätten. Wie weit war ihr Weg dann noch? Sie wussten es nicht, weil sie zuvor von den tausend Segeln Ombarakas durch die Ebene getragen worden waren. Sie schätzten, sie würden drei Tage unterwegs sein, vielleicht auch länger. Wie sollten sie diese Strecke nur ohne Essen überstehen? 
    Der Große Weg war breit und fiel sanft ab, so dass sie die Ebene bald vor sich liegen sahen. Gegen Mittag spürten sie, wie ihre Kräfte nachließen, und bekamen Angst. Selbst Bowman war nun erschöpft. Schließlich war er mit einer Verschnaufpause einverstanden. Dankbar ließen sie sich im Schatten eines Baumes mit großen Blättern auf den Boden sinken. 
    »Wie sollen wir bloß nach Hause kommen?«, wollte Kestrel wissen. Sie merkte, dass sie sich an ihren Bruder wandte, der so etwas wie ihr Anführer geworden war. 
    »Ich weiß nicht«, antwortete er nur. »Aber wir werden es schaffen, weil wir es schaffen müssen.« 
    Das war zwar keine richtige Antwort, tröstete sie aber trotzdem. 
    »Vielleicht können wir Blätter essen«, schlug sie vor und zupfte an dem Zweig über ihr. 
    »Ich weiß!«, rief Mumpo. Er griff in seine Tasche und zog die letzten Reste der Tixablätter aus dem Untersee hervor. Er zerpflückte sie in drei Teile und gab Kestrel und Bowman davon ab. »Das ist zwar kein richtiges Essen«, erklärte er, »aber man vergisst seinen Hunger.« 
    Er hatte Recht. Sie kauten die Tixablätter und schluckten den scharfen Saft herunter, und obwohl ihre

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