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Der Windsänger

Titel: Der Windsänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Nicholson
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konnte sie nicht mehr hören. Erschöpft und keuchend gab sie nach. 
    Eine Stimme fragte dicht an ihrem Ohr: »Sind Sie jetzt fertig?« 
    Sie nickte. 
    »Kommen Sie freiwillig mit oder müssen wir Sie mitschleifen?« 
    Sie nickte wieder und wollte damit sagen, dass sie freiwillig mitgehe. Die grobe Hand gab ihren Mund frei. Ira schnappte nach Luft. 
    »Wo ist meine Tochter?« 
    »In Sicherheit. Wenn Sie sie wiedersehen wollen, tun Sie jetzt, was man Ihnen sagt.« 
    Da wusste Ira, dass sie keine Wahl hatte. Mit verbundenen Augen kletterte sie vom Windsänger und ließ sich aus der Arena hinausführen. Sie überquerten den Platz, betraten ein Gebäude und gingen durch mehrere Türen und Flure in ein Zimmer und dann in ein weiteres. Dort blieben sie und ihre Eskorte schließlich stehen. 
    »Lassen Sie sie los«, befahl eine bekannte Stimme. »Nehmen Sie ihr die Augenbinde ab.« 
    Vor ihr saß Maslo Inch an einem langen Tisch. Und rechts neben ihr, nicht nah genug, um ihn berühren zu können, stand 
    ihr Mann. 
    »Hanno!« 
    »Ruhe!«, brüllte der Oberste Prüfer. »Sie beide werden erst dann reden, wenn ich fertig bin.« 
    Ira Hath schwieg. Doch sie und Hanno schauten sich in die Augen: Wir beide stehen das schon irgendwie zusammen durch, teilten sie sich durch ihre Blicke mit. 
    Ein Wächter betrat das Zimmer mit einem kleinen Stapel ordentlich gefalteter grauer Kleidung. 
    »Legen Sie das auf den Tisch«, befahl Maslo Inch. 
    Der Wächter gehorchte und verließ den Raum. 
    »Also«, sagte Maslo Inch und blickte Hanno und Ira fest an. »Sie werden Folgendes tun. Morgen ist der Tag der Großen Prüfung. Du, Hanno, wirst an dieser Prüfung teilnehmen, wie es deine Pflicht gegenüber deiner Familie ist, und deine Sache so gut wie möglich machen. Sie, Ira Hath, werden der Großen Prüfung als pflichfbewusste Ehefrau und Mutter beiwohnen und damit Ihre Unterstützung für das Oberhaupt Ihrer Familie zum Ausdruck bringen. Natürlich werden Sie dabei die korrekte Kleidung tragen.« Er nickte in Richtung des Kleiderstapels, der vor ihm auf dem Tisch lag. »Bevor die Leute nach der Prüfung die Arena verlassen, werde ich Sie beide dazu auffordern, eine kurze öffentliche Erklärung abzugeben. Diese Erklärungen liegen hier schriftlich vor. Sie werden sie bis morgen auswendig lernen.« Er hielt ihnen zwei Blätter hin und der Hauptmann der Konstabler reichte sie an Ira und Hanno weiter. »Sie werden die heutige Nacht in Gewahrsam verbringen, so dass Sie sich in Ruhe damit beschäftigen können.« 
    »Wo ist meine Tochter?«, unterbrach ihn Ira, die sich nicht mehr zurückhalten konnte. 
    »Ihr Kind ist in sicheren Händen. Die gute Frau, in deren Obhut sich Ihre Tochter befindet, wird sie morgen in die Arena mitbringen und dort wird sie die Große Prüfung von den Kinderplätzen aus verfolgen. Falls Sie mir morgen beweisen, dass Sie in der Lage sind, ein prägsames kleines Kind verantwortungsbewusst zu erziehen, bekommen Sie sie zurück. Andernfalls wird sie ein Mündel der Stadt und Sie werden sie nie wiedersehen.« 
    Ira Hath spürte, wie ihr heiße Tränen in die Augen traten. »Sie Scheusal«, sagte sie leise. 
    »Wenn Sie so denken, Madam…« 
    »Nein«, widersprach Hanno. »Wir haben verstanden. Wir werden alles tun, was du verlangst.« 
    »Wir werden sehen«, sagte Maslo Inch gelassen. »Das wird sich morgen zeigen.« 
    Allein in ihrer Zelle, fielen sich Ira und Hanno Hath schluchzend in die Arme. 
    Nach einer Weile trocknete Hanno die Tränen seiner Frau und seine eigenen und sagte: »Na, komm. Wir müssen unser Möglichstes tun.« 
    »Ich will Pinpin zurückhaben! O mein Baby, wo bist du nur?« 
    »Nein, nein, hör auf damit. Es ist doch nur für diese eine Nacht.« 
    »Ich hasse sie, ich hasse sie, ich hasse sie.« 
    »Natürlich, ich doch auch. Aber im Moment müssen wir tun, was sie von uns verlangen.« 
    Er faltete sein Blatt Papier auseinander und las die Erklärung, die er auswendig lernen und in der Öffentlichkeit wiederholen sollte: 
    Liebe Mitbürger, 
    ich lege dieses öffentliche Geständnis aus freiem Willen ab. In den letzten Jahren habe ich mich nicht bemüht mein Bestes zu geben. Die Folge war, dass ich meine Familie und mich selbst enttäuscht habe. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich versucht habe anderen die Schuld an meinem Scheitern zu geben. Ich sehe jetzt ein, dass das kindisch und egoistisch war. Jeder von uns ist für sein eigenes Schicksal

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