Der Winter tut den Fischen gut (German Edition)
schiebt mit der linken Hand die Abdeckung zur Seite. Um elf Uhr zweiundzwanzig ist Frau Stefanie nicht mehr zu sehen, Maria sperrt ihre Wohnungstür leise auf, schaut noch einmal durch den Türspion, kniet danach in der Wohnung nieder, damit sie dann nur noch die Hand ausstrecken muss. Heute werde ich bei der Zeitung anrufen, ich werde bitten, die Zeitung mit der Post zuzustellen, ich werde sagen: Ich bin beruflich viel unterwegs, es ist mir zu unsicher, wenn die Zeitung vor der Wohnungstür liegt, Sie wissen, die Diebe, in unserem Haus wurde schon ein paar Mal eingebrochen. Sie stellen doch auch mit der Post zu, wenn nicht, werde ich das Probeabonnement keinesfalls verlängern. Wissen Sie, nicht alle Menschen können morgens die Zeitung von ihrer Fußmatte nehmen.
Das Rindfleisch wird zu Mittag gegessen, gekochtes Rindfleisch mit Spinat, Kartoffeln und Semmelkren. Die Suppe essen Isolde und Frau Stefanie als Vorspeise, aber sie können nicht so viel Suppe essen, der Rest wird in Joghurtbechern eingefroren. Ein Becher ist eine Portion, da braucht man nicht lange überlegen, wenn man das Tiefkühlgerät öffnet, sagte Isolde, wenn sie erzählte, wie man Rindsuppe am besten einfriert. Isolde besitzt ein Tiefkühlgerät mit drei Laden, eine für Fleisch, eine für Suppen, eine für Sonstiges. Das Tiefkühlgerät ist so groß wie der Kühlschrank und besser gefüllt. Isolde legt Wert darauf, Vorräte zu haben: Weil man nie weiß, wer kommt, weil man nie weiß, was kommt. Eine gute Rindsuppe muss Augen haben, sagte Isolde, wenn sie Maria zum Rindsuppeessen lud, und deutete mit dem Löffel auf das Fett, das sich an der Suppenoberfläche in Kreisen sammelte. Isolde kommt in letzter Zeit nur noch selten vor ihre Wohnungstür, und sieht sie Maria, redet sie schnell und viel, sie suche etwas, sagt Isolde an manchen Tagen, es habe jemand eingebrochen, ihr falsche Schuhe in das Schuhregal, abgelaufene Waren in den Kühlschrank gestellt. Einmal holte Isolde drei Gläser Essiggurken aus ihrer Küche, schau, sagte sie, so etwas kaufe ich nicht, da muss jemand in der Wohnung gewesen sein. Isolde stellte die Essiggurken zum Beweis auf ihre Vorzimmerkommode, sie rief die Hausverwaltung an und ließ die Schlösser tauschen. Pass gut auf, sagte sie zu Maria, die Zeiten werden schlecht, man weiß nie, wer in die Wohnung kommt. Es kostet wenig, einen Schlüssel nachmachen zu lassen, und dann, dann können sie immer wieder kommen, jeden Tag aufs Neue, es ist schrecklich. Solange sie nur Sachen in deine Wohnung stellen und nichts mitnehmen, sagte Maria und lachte, aber Isolde lachte nicht. Isolde hielt sich am Türrahmen und schüttelte den Kopf. Violett ist eine schöne Farbe, es steht dir gut, sagte Maria. Isolde strich über ihre Bluse. Danke, ich habe es auch sehr gern.
Um zwölf Uhr muss Maria frisch aussehen, dann könnte es sein, dass Frau Stefanie an der Wohnungstür läutet und zum Rindfleisch lädt, was an manchen Donnerstagen passiert, wenn Isolde bemerkt, dass Maria zu Hause ist. Maria isst schnell eine nackte Scheibe Brot. Von Luft allein lebt man nicht, sagte Walter, wenn Maria in seiner Gegenwart nackte Brotscheiben zum Frühstück aß. Von Luft und Liebe, antwortete Maria, ich habe zugenommen. Achten Sie auf Ihren Körper, sagte Herr Willert zu seinen Angestellten, vergessen Sie Ihr Aussehen nicht. Maria isst eine nackte Scheibe Brot, weil sie gestern nicht einkaufen gewesen ist. Außen beim Anschnitt ist das Brot hart, innen wird es weicher. Maria isst das Brot, danach erst trinkt sie Kaffee. Ich muss auf meine Figur achten, sagte Maria zu Walter, wenn er neben ihr Butter auf sein Brot strich. Wie du meinst, antwortete er und öffnete das Marmeladeglas.
Es ist elf Uhr zweiundvierzig, als Maria ihr Frühstück beendet. Sie hat noch achtzehn Minuten, bis Frau Stefanie fragen könnte: Möchten Sie zu uns kommen, wir haben Rindfleisch gekocht. Maria versucht, sich ruhig zu verhalten, sie lässt das Frühstücksgeschirr am Küchentisch stehen, sie wird es nachher wegräumen. Sie geht ins Bad, entscheidet, die Zähne nicht zu putzen, weil es gleich Rindfleisch geben könnte, weil Rindfleisch mit geputzten Zähnen schlecht schmeckt, im ersten Moment zumindest. Ein Moment ist ein Augenblick, der eine Weile dauert, denkt Maria und zieht ihr Nachthemd aus. Sie steht vor dem Spiegel, sie dreht sich zur Seite, sie drückt mit den Fingerspitzen ihren Bauch nach innen, sie zupft mit Daumen und Zeigefinger so lange an ihrem Bauch, bis
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