Der Winter tut den Fischen gut (German Edition)
nicht mehr vorbei, ich wechsle die Straßenseite. Man kann den Kopf zum Boden richten, so ist es gut. Wenn man den Kopf zum Boden richtet, sieht man besser, was auf dem Boden liegt. Wenn man auf oder in etwas tritt, ist es immer wieder unangenehm. Man muss die Schuhe putzen, die Schuhe müssen stets sauber sein, denn wenn die Schuhe schmutzig sind, ist alles verloren. Achten Sie auf Ihr Schuhwerk, sagte Herr Willert, manche Menschen blicken zuerst auf die Schuhe und dann ins Gesicht. Herr Willert trug Lederschuhe, immer passend zum Anzug, Halbschuhe, auch im Sommer, Winter wie Sommer dieselben Schuhe. Wenn einem Mann ein Schuhband reißt, ist das unerfreulich, sagte Herr Willert, und riss ihm ein Schuhband, ging er in sein Büro, wo er passende Ersatzschuhbänder im Schreibtisch aufbewahrte. Auf solche Situationen muss man vorbereitet sein, sagte Herr Willert. Nein, diese Straßenseite ist gut genug, man muss dort nicht vorübergehen. Und senkt man den Blick, sieht man besser, was auf dem Boden liegt. Man sieht nicht, was hinter dem Fenster ist, dort, auf der anderen Straßenseite, eingerahmt von Häkelgardinen.
Aus dem Drogeriemarkt riecht es nach Parfüm und Waschmittel, aber nur solange die Tür offensteht. Maria sieht eine Frau, die den Laden verlässt, es ist eine kleine Frau, sie trägt Toilettenpapier und hat dabei ihren Arm angewinkelt, weil die Packung Toilettenpapier sonst am Boden streifen würde. Manche Drogeriemärkte führen Toilettenpapier für kleine Menschen, der Tragegriff ist seitlich angebracht. Man braucht zwar mehr Platz, denkt Maria, aber kleine Menschen können Toilettenpapier nach Hause tragen, ohne ihre Arme heben zu müssen. Die Frau hat sich für Toilettenpapier mit Tragegriff oben entschieden, obwohl die Drogeriekette auch Toilettenpapier mit seitlichem Tragegriff führt. Warum, denkt Maria, und warum ist ein Hundewelpe auf der Packung abgebildet, was haben Hundewelpen mit Toilettenpapier zu tun. Maria reiht sich hinter der kleinen Frau auf der Straße ein, ihre Schritte klappern auf dem Asphalt. Maria sieht geradeaus, sie dreht sich nicht um, sie geht weiter, ohne hinüberzublicken. Dorthin, wo sie sitzen könnten, wo zumindest Frau Herta hinter dem Tresen wartet und raucht und Berti auf dem Fensterbrett steht. Kurz überlegt Maria, den Kopf zu heben, kurz nachzusehen, aber sie möchte nicht, dass sie jemanden erkennt und die Hand zum Gruß heben muss. Maria möchte nicht, dass ihr die Person zuwinkt, die sie zuvor erkannt haben würde, dass die Person ihr Zeichen gibt, die Straßenseite zu wechseln, dass sie gefragt wird: Maria, wo warst du so lange.
Maria geht schnell, mit der rechten Hand hält sie sich an der Tasche fest, sie zieht ihre Schultern hoch. Die Kirchenglocken läuten, als sie an der Apotheke vorübergeht, und sie überlegt, warum heute, an einem Freitag, um fünfzehn Uhr, die Kirchenglocken läuten. Ob sie einen Feiertag vergessen hat, ob jemand gestorben ist. Es stirbt doch ständig wer, aber eine Totenmesse um fünfzehn Uhr, denkt Maria, das ist seltsam, und schaut hinauf zur Spitze des Kirchturms, den sie am Ende der Straße sieht. Im
Bistro Brigitte
saßen Maria, Martha und Angelika jeden Mittwoch, zum Wochenteiler, wie sie sagten, es ist gut, wenn die Woche bald zu Ende ist. Im
Bistro Brigitte
, wo es nur zwei Sorten Wein gibt: rot oder weiß. Der Wochenteiler brachte das Wochenende näher, und das Wochenende mochten sie alle, Maria, Martha, Angelika. Am Wochenende verging der Sonntag viel zu schnell. Am Montag erzählten Martha und Angelika, was sie mit ihren Kindern erlebt hatten, an Samstagen wurden Wohnungen geputzt, an Sonntagen Zeitungen gelesen. Das Wochenende war von großer Bedeutung, für Martha und Angelika wird es immer noch so sein, denkt Maria, als sie das
Bistro Brigitte
hinter sich gelassen hat, und sie überlegt, ob die beiden jetzt Vollzeit arbeiten.
Martha und Angelika blieben, sie riefen an: Maria, du wirst uns fehlen, du kommst doch weiterhin zum Wochenteiler. In den ersten Wochen fuhr Maria jeden Mittwoch mit dem Bus zum
Bistro Brigitte
, sie nahm von der Bushaltestelle einen Umweg, sodass sie nicht an der Boutique vorbeikam. An manchen Mittwochen saßen Martha und Angelika schon am Tisch rechts hinten in der Ecke, wo sie immer saßen, wo sie sitzen durften, denn nur Stammgästen war es erlaubt, am Tisch rechts hinten Platz zu nehmen, wo das
Reserviert
-Schild nie abgenommen wurde. Nur den Stammgästen und Berti, der allerdings lieber vom
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