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Der Winter tut den Fischen gut (German Edition)

Der Winter tut den Fischen gut (German Edition)

Titel: Der Winter tut den Fischen gut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Weidenholzer
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die Haut gerötet ist. Eine gute Durchblutung strafft das Bindehautgewebe. Was gut durchblutet ist, stirbt nicht ab, sagte Marias Großmutter, wenn die Kinder mit roten Backen aus der Kälte kamen. An besonders kalten Wintertagen hatte Maria Angst, dass ihre Backen abfallen würden. Blödsinn, sagte die Großmutter, die Backen verliert man so schnell nicht. Die Großmutter sagte auch: Iss die Backen, die Backen schmecken beim Fisch am besten. Maria hebt die Kleidungsstücke vom Boden, die sie am Vorabend fallen gelassen hat. Sie riecht an ihnen, sie schüttelt sie, sie zieht sie an.
    In der Küche öffnet Maria den Kühlschrank, sie nimmt das Gemüsefach heraus, hier müsste genügend Platz sein, sagt sie. Otto lebt im Herrgottswinkel in der Küchenecke. Der Herrgottswinkel war ungenutzt, Maria hatte das Kreuz und den Palmbuschen und das Foto von Walter vor drei Jahren in eine Schachtel gelegt, in den Keller getragen. In den Keller, wo jede Hauspartei ein eigenes Abteil hat, das jeder Hauspartei irgendwann zu klein wird, weshalb Vieles vor den Kellerabteilen steht. Zwischen Kellerabteil siebenundzwanzig und neunundzwanzig fand Maria das Aquarium, in dem jetzt Otto wohnt. Sie schleppte es in einer großen Schachtel, die sie mit einem Tuch abdeckte, in ihre Wohnung. Als sie das Aquarium aus der Schachtel nahm, war sie erleichtert, am Weg vom Keller hinauf niemanden getroffen zu haben. Sie tragen schwer, hätte Herr Seitz von Tür Nummer achtundzwanzig sagen können, soll ich Ihnen helfen. Nein, hätte Maria geantwortet, ich schaffe das, in der Boutique heben wir noch weit schwerer. Wissen Sie, ich habe im Stoffhandel gelernt, dort musste ich jeden Tag Stoffballen tragen. Wissen Sie, wie schwer solche Stoffballen sind, da ist das hier gar nichts, hätte Maria gesagt und gehofft, das Handtuch würde nicht verrutschen, damit Herr Seitz das Aquarium nicht sehen würde, das unter Umständen ihm gehörte. Ich sortiere den Weihnachtsschmuck, hätte Maria gesagt, wenn sie jemanden getroffen hätte, der zwischen Tür Nummer siebenundzwanzig und neunundzwanzig wohnt. Jetzt schon, bis Weihnachten ist noch eine Weile, hätte man ihr unter Umständen geantwortet, woraufhin Maria gesagt hätte: Man kann nicht früh genug beginnen, entschuldigen Sie, ich muss weiter, ich habe zwar viel Kraft, aber die Schachtel ist trotzdem schwer.
    Viel Platz hast du nicht, sagt Maria, als sie Otto im Herrgottswinkel ansieht, bitte entschuldige, aber das Wichtigste im Leben ist nicht der Platz, den man hat, man kann auch mit wenig Platz gut leben. Das Wichtigste ist die Versorgung, dass sich jemand kümmert, das ist wichtig, findest du nicht. Otto schaut in Marias Richtung. Ich denke, ich habe Recht, sagt sie. Am Vorabend hat Maria beschlossen, Otto im Winter bei sich zu lassen. Es ist sicherer, sagt sie jetzt, als sie über das Glas des Aquariums streicht. Wir werden einen schönen Winter verbringen, im Sommer kannst du zu den anderen, aber jetzt, jetzt bist du noch zu schwach dafür. Otto hüpft ins Wasser, als Maria über das Glas streicht. Ich sehe dich trotzdem, sagt sie und klopft gegen die Scheibe, du entkommst mir nicht.
    Eine Kaulquappe aufzuziehen ist einfach, aber auch wieder nicht, man muss viele Tode in Kauf nehmen, würde Maria sagen, würde sie mit jemandem über ihre Kaulquappenerfahrung sprechen. Aber Maria spricht nicht über Kaulquappen, weil es verboten ist, Kaulquappen zu fangen und in Gefangenschaft aufwachsen zu lassen. Das hat Maria in der Zeitung gelesen, und sie hat sich über das Wort
Gefangenschaft
geärgert. Als ob es ihnen im Wald besser gehen würde, dachte sie. Honiggläser sind größer als Marmeladegläser, Maria blickte sich im Wald um, kniete nieder und fischte mit dem Glas schnell durch die Kaulquappenmasse am Rand des Teiches. Ebenso schnell verschloss sie das Glas, das sie in ihre Tasche steckte. Erst zu Hause bemerkte sie, dass sie zwischen Glasrand und Deckel eine Kaulquappe eingequetscht hatte, was ihr leid tat, aber nicht mehr rückgängig zu machen war. Aus Fehlern lernt man, hatte Herr Willert gesagt, aber zu viele sollte man sich nicht erlauben. Maria ließ die tote Kaulquappe bei den anderen und schüttete alle zusammen in die Plastikschüssel, in der Walters Mutter den Semmelknödelteig zubereitet hatte, wenn sie auf Besuch war. Wenn Walters Eltern am Wochenende zu Besuch kamen, gab es Braten. Walters Mutter brachte dazu die Stoffwindeln mit, die Walter als Kind getragen hatte. Maria sagte, wir können

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