Der Winter tut den Fischen gut (German Edition)
alten Menschen ihre Einkäufe durch die Stadt.
Im Osten geht die Sonne auf, im Süden ist ihr Mittagslauf, im Westen wird sie untergehen, im Norden ist sie nie zu sehen. Der Bus steuert auf die Sonne zu. Wir fahren in den Süden, denkt Maria, wir fahren und dabei stehen wir doch. Der Busfahrer ist durch eine Absperrung von den übrigen Fahrgästen getrennt.
Bitte während der Fahrt nicht mit dem Fahrer sprechen
steht auf einem Schild neben seinem Platz. Der Busfahrer trägt die Uniform der städtischen Verkehrsbetriebe, in das Gepäcknetz hinter dem Fahrersitz hat er eine Zeitung geklemmt, die er lesen wird, wenn er bei der Endhaltestelle darauf wartet, wieder loszufahren. Ein Busfahrer fährt acht Stunden am Tag dieselbe Strecke, man muss sich vorstellen, was in ihm vorgeht, wenn er auf dieser Strecke einmal falsch abbiegt, sagte Isolde, als sie vor einigen Jahren erzählte, dass der Busfahrer im Kreisverkehr aus Versehen die zweite Ausfahrt genommen hatte. Der Busfahrer verlässt den Kreisverkehr mehrere Male täglich an der dritten Ausfahrt, und dann nimmt er die zweite, ohne dass es ihm auffallen würde. Man muss sich vorstellen, wie abgelenkt der Busfahrer sein muss, wenn er sich im Kreisverkehr für die falsche Ausfahrt entscheidet. Es hätte noch weit mehr passieren können, sagte Isolde, wir können von großem Glück sprechen, wir haben großes Glück gehabt. Maria denkt an das große Glück, als der Busfahrer bei der Ampel anfährt und vor der starken Rechtskurve ein wenig zu spät bremst, so als ob er weiterfahren würde. Dass er deswegen stark bremst, empört die älteren Fahrgäste. Ich werde mich beschweren, sagt ein Mann hinter Maria laut. Maria dreht sich um, sie sagt: Er kann Sie nicht hören, besser, Sie bleiben sitzen, halten Sie sich gut fest. Es soll Ihnen nichts geschehen.
Das erste Mal ist immer ein großer Schritt, sagte Walter, und Maria mochte es nicht, wenn Walter diesen Satz sagte und dabei den Blick bekam, den er hatte, wenn er diesen Satz sagte. Dumm sah er dabei aus, denkt sie, dumm und unangenehm. Maria möchte, dass die Busfahrt nicht endet. Sie wünscht sich, dass sie von einem Unbekannten entführt werden, einen Stau, der allerdings nicht durch einen Verkehrsunfall entstanden ist, weil sie nicht möchte, dass jemand zu Schaden kommt, sie wünscht sich, dass der Verkehr erliegt. Ich könnte sitzen bleiben, denkt sie, ich könnte sagen, die Türen haben sich nicht geöffnet, so fest ich den Knopf auch gedrückt habe. Es wird alles gut, das sagte Walter, wenn er Maria besänftigen wollte. Es wird alles gut, oder: Es wird alles gut werden. Der Bus bleibt bei der nächsten Haltestelle stehen, Maria lässt die Frau neben sich hinaus und setzt sich dann an den Fensterplatz. Drei Stationen noch, denkt sie, drei, zwei, eins. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, eine alte Frau kocht Rüben, eine alte Frau kocht Speck, und du – bist weg. Wenn Maria nach hinten rutscht, sodass ihr Rücken die Lehne berührt, gelangt sie nur noch mit den Zehenspitzen bis zum Boden. Maria ist müde, sie möchte den Kopf an die Scheibe legen, aber an die Scheibe hat zuvor schon jemand seinen Kopf gelegt, dessen Abdruck sie nicht berühren möchte. Maria überlegt, ob ihr Kopf auch einen Abdruck hinterlassen würde oder ob ihre Haut weniger fett ist.
Hinter der Stadt zeichnen sich die Berge ab. Hinter den Bergen liegen anderer Leute Städte, liegen anderer Leute Leben, die Maria nicht sieht, auch nicht die Berge, weil der Nebel heute alles verdeckt. Der Bus hält an der nächsten Station, die Türen öffnen sich, ein Mädchen steigt ein, es trägt einen Karton.
Schnittlauch
steht darauf, und Maria sieht zwei Ohren, die über den Rand hinausragen. Entschuldigen Sie, ist das ein Hase, fragt sie, als das Mädchen neben ihr Platz nimmt. Nein, ein Kaninchen, antwortet es. Maria möchte das Kaninchen streicheln, aber sie wagt es nicht zu fragen. Sie sagt: Das wusste ich nicht, dass Kaninchen so groß sein können. Als der Busfahrer schnell bremst, duckt sich das Tier, das Mädchen streckt die rechte Hand darüber, mit der linken Hand hält es die Leine des Kaninchens. Die Kaninchenleine ist rosa mit pinken Herzen darauf. Ich wusste nicht, dass man Kaninchen an der Leine hält, denkt Maria, und der Busfahrer hupt, weil ein Auto noch immer seine Fahrt behindert, er hupt, und die älteren Fahrgäste schimpfen, das Kaninchen bleibt geduckt. Eine Reihe weiter hinten sagt eine Frau: Katzenfleisch schmeckt wie
Weitere Kostenlose Bücher