Der Winter tut den Fischen gut (German Edition)
sieht, wie Herr Willert das rechte Bein über das linke legt, Fußknöchel auf Oberschenkel. Er sagt: Einer anderen würden wir dieses Angebot nicht machen, und Maria unterschreibt.
Der Sohn zeichnet einen neuen Strich. Er verwendet zu viel Haarspray, denkt Maria, seine Haare sind verklebt. Sehen Sie, Frau Maria, das ist Ihr Leben. Da ist noch viel Platz bis zum Ende, wie alt sind Sie, siebenundvierzig, sehen Sie, Sie stehen hier, sagt er und zieht einen senkrechten Strich. Sie haben noch viele Jahre vor sich, freuen Sie sich, es ist nicht selbstverständlich, in diesem Alter noch die Möglichkeit zu bekommen, sein Leben neu zu gestalten. Sehen Sie es positiv, sagt Herrn Willerts Sohn, Sie haben jetzt die Freiheit, von vorn zu beginnen. Ist gut, Stefan, sagt Herr Willert, danke. Er steht auf, und der Sohn steht auf, Maria steht auf, sie gibt beiden die Hand, ihr ist schwindlig. Ihre Schlüssel bitte, sagt Herr Willert. Alles Gute, sagt Herr Willert, erholen Sie sich ein paar Tage, lassen Sie von sich hören. Sie werden uns fehlen.
Der Griff der Toilettentür ist aus Plastik, Maria schließt die Tür, sie sperrt sie ab. Sie atmet. Sie sitzt auf der Toilette und drückt Toilettenpapier auf ihre Augen. Sie denkt, was habe ich falsch gemacht. Sie möchte mit der Faust gegen die Wand schlagen, aber sie möchte keinen Lärm machen. Maria sitzt auf der Toilette, sie drückt Toilettenpapier auf ihre Augen, sie atmet. Sie versucht, sich vorzustellen, wie sie Martha und Angelika erzählen wird, was passiert ist. Sie denkt: Ich bin am längsten hier. Sie zupft in ihrem Gesicht herum, sie hört auf damit, weil es Spuren hinterlässt und sie keine Spuren an sich haben möchte. Sie denkt: Ich war am längsten hier, und hält frisches Toilettenpapier gegen die Augen. Sie schiebt den Ärmel ihrer Bluse hoch und zupft an ihrem Unterarm, so lange, bis ihre Fingernägel eine Kerbe hinterlassen, die wie der Buchstabe U aussieht. U, was soll das heißen, denkt Maria, schnäuzt sich, zieht die Spülung und geht hinaus. Wo warst du so lange, fragt Angelika. Auf der Toilette, antwortet Maria, mir ist nicht gut, ich gehe heute schon früher nach Hause.
JETZT haben Sie alles gehört, werde ich sagen. Der Mann wird auf seine silberne Armbanduhr sehen, er wird den Ärmel darüber schieben, er wird sagen: Ich habe noch Zeit. Und ich werde sagen: Lassen Sie uns über die Zukunft sprechen. Frau Beerenberger, wird er mich unterbrechen, was wollen Sie mir von der Zukunft erzählen, die Zukunft ist noch nicht gewesen. Da haben Sie Recht, werde ich sagen, aber die Gedanken bestimmen, was kommen wird, ich denke nach vorn in die Zukunft, geradeaus. Meinen Sie, wird er fragen und seine Stirn in Falten legen. Ja, werde ich sagen, ja. Er wird eine Weile schweigen, wir werden uns gegenübersitzen, das Ticken einer Uhr wird zu hören sein. Frau Beerenberger, wird er nach einer Weile sagen, ich habe nachgedacht, ich möchte mehr über Sie erfahren, wissen Sie, ein Braten gelingt auch nur im Ganzen. Wir werden schweigen, die Uhr wird ticken. Das ist ein schlechter Vergleich, werde ich nach einer Weile sagen, man spricht nicht von verflossenen Lieben, man spricht nicht von verflossenen Leben. Es gibt ein Vorher und ein Nachher, wird er sagen. Er wird auf seine Krawatte blicken, Frau Beerenberger, bitte.
22 Ein Mittwoch
So ein Nebel heute, sagt Angelika, man sieht die Kirchturmspitze nicht. Der Nebel ist doch den ganzen Herbst so stark, sagt Maria und wickelt den Schal fester um ihren Hals. Nein, den Kirchturm sieht man nur heute nicht, sagt Angelika, pass auf, die Gehsteigkante. Ich schaue da nie hin, sagt Maria, warum sollte ich, die Bäume sind schöner als die Kirche. Im Winter nicht, sagt Angelika. Doch, auch im Winter, sagt Maria, da sieht man die Vögel besser, wie sie in den Ästen sitzen. Wie große Trauben sehen sie aus, du musst genau hinsehen. Gut, sagt Angelika, vor dem nächsten Baum werde ich stehen bleiben. Gut, sagt Maria, geh du nur vor, ich komme gleich nach. Was möchtest du trinken, fragt Angelika. Wie immer, sagt Maria, Martha ist bestimmt schon dort. Im Drogeriemarkt beeilt sich Maria, weil es kurz vor Ladenschluss ist. Sie kauft eine Packung Präservative, Maria entscheidet sich für die teuersten, sie möchte nicht lange überlegen. Sparen Sie nicht bei der Qualität, sagt Herr Willert zu Kundinnen in der Taschenabteilung, greifen Sie, fühlen Sie den Unterschied. Maria legt ihren Kopf zur Seite, als sie mit der Packung in der Hand
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