Der Winter tut den Fischen gut (German Edition)
Herr Willert, und Maria beißt einen Hautfetzen von ihrer Unterlippe, als sie an Herrn Willert denkt und vor der Anmeldung steht.
Der Linoleumboden ist gesprenkelt, Maria setzt ihre Schritte vorsichtig, weil der Boden nass ist.
Achtung Rutschgefahr
steht auf einem gelben Schild in der Mitte des Raums. Dort wo der Boden noch nicht gewischt wurde, sieht Maria schwarze Striche, von Menschen, die ihre Füße beim Gehen nicht ordentlich heben. Eine gelbe Ampel bedeutet, dass sie gleich auf Rot umspringt, ein gelbes Schild, dass dir die Gefahr im Nacken sitzt. Gefährlich ist es, wenn du nicht damit rechnest, sagte Walter, und Maria denkt, Recht hatte er, als sie bei der Treppe ankommt. Die Treppe ist so breit, dass zehn Personen nebeneinander Platz hätten, die Stufen sind an ihren Kanten mit rutschfestem Material verkleidet. Rechts außen steigt Maria hoch, sie fährt mit ihrer Hand das Geländer entlang. Als sie oben ankommt, ist sie überrascht, wie wenig Unterschied zwischen oben und unten ist. Die Sessel für die Wartenden sind um Tische angeordnet, auf den Tischen liegen Broschüren zu kleinen Stößen geschlichtet. Maria nimmt vor dem Zimmer 1.004 Platz, sie sieht durch das Fenster in der Tür, dass ihre Beraterin telefoniert, Maria überkreuzt die Beine und blickt sich um. Eine Tür wird geöffnet, ein Mann kommt heraus, er grüßt nicht, als er vorübergeht. Maria kratzt in der Rille zwischen Sesselbein und Sitzfläche, und als sie bemerkt, was sie tut, kontrolliert sie ihre Fingernägel, putzt mit einem Fingernagel Schmutz aus dem anderen. Man darf den Händen die Arbeit nicht ansehen, sagte Herr Willert, hier muss alles sauber sein.
Der Mann, der zuvor grußlos an Maria vorübergegangen ist, kommt zurück, er trägt eine Gießkanne, türkis wie die Türrahmen, er trägt sie in ein Büro, die Pflanzen im Wartebereich wässert er nicht. Maria mustert die anderen Wartenden, eine Frau unterhält sich mit einem jungen Mann, von dem Maria vermutet, dass er ihr Sohn ist, in einer Sprache, die Maria nicht versteht, das Handgelenk der Frau steckt in einem Verband. Der junge Mann ist bei genauerem Hinsehen ein altes Kind mit Bartflaum über der Oberlippe. Die Frau sitzt, und ihr Sohn steht, seine Hände vergräbt er in den Hosentaschen. Zwei Plätze weiter hat ein Mann einen Sessel zur Seite gedreht und stützt sich mit den Ellbogen auf der Lehne ab, er riecht nach Waschmittel und Pfefferminzkaugummi. Hinter Maria, der Frau, dem Sohn und dem Mann warten vier andere, dass sie aufgerufen werden. Maria sieht ihre Hinterköpfe, sie dreht sich nur kurz nach ihnen um, weil sie nicht neugierig wirken möchte, und nimmt eine Zeitschrift, die jemand auf dem Tisch zwischen den Wartenden liegen gelassen hat. Maria liest von einem Schwan, der sich in einen blauen Traktor verliebt hat. Schwäne, denkt sie und schüttelt den Kopf. Sie blättert in der Zeitschrift, die schon abgegriffen ist, und überlegt, wer sie vergessen hat. Sie liest:
Ein Brachland ist ein Grundstück, das aus wirtschaftlichen oder regenerativen Gründen unbestellt ist. Ein Grundstück, das sich in menschlicher Nutzung befand, die aber wieder aufgegeben wurde und möglicherweise Spuren hinterlassen hat. Wir nehmen solche Flächen in erster Linie als hässliche Flecken wahr
. Maria legt die Zeitschrift zurück auf den Tisch. Die Broschüren des Arbeitsmarktservices sind ordentlich gestapelt, an ihnen sind keine Falten zu bemerken. Vielleicht hätte ich mehr lächeln sollen, überlegt Maria, vielleicht hätte ich nicht sagen sollen, dass mein Rücken schmerzt.
Die Beraterin trägt eine Bluse, die beiden oberen Knöpfe sind geöffnet. Die Bluse spannt bei der Brust, was Maria wundert, und Maria bemüht sich, nicht zu sehr auf die Bluse zu schauen, aber sie wundert sich, warum die Beraterin diese Bluse gewählt hat. Frau Beerenberger, sagt die Beraterin, kommen Sie herein. Sie schüttelt Marias Hand, die Maria zuvor noch ein paar Mal an ihrer Hose abgewischt hat, bitte nehmen Sie Platz. Die Sessel im Beratungszimmer sind gepolstert, grauer Stoff mit roten Sprenkeln darin. Damit man den Schmutz nicht sieht, denkt Maria und verschränkt ihre Hände ineinander. Die Beraterin sitzt auf der anderen Schreibtischseite, der Boden ist eben, und trotzdem kommt es Maria vor, als ob die Beraterin weiter oben sitzt. Frau Beerenberger, erzählen Sie, sagt die Beraterin im Dialekt von Walters Eltern, und Maria lächelt, Schatt- oder Sonnseite, möchte sie fragen, aber Maria muss
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