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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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sagte meiner Tochter, sie solle niemandem von dieser Unterhaltung erzählen: »Das bleibt unser Geheimnis, ja?«
    Darja hatte es ihr versprochen und mich angelogen, als ich sie nach dem Anhänger fragte. Aber sie hatte schreckliche Schuldgefühle, und sie litt noch mehr, als dann auch noch Onkel Grigori anfing, sie so komisch anzuschauen, und sie annehmen musste, dass er Bescheid wusste und böse auf sie war.
    »Und heute habe ich das hier gefunden«, schluchzte meine Tochter und zog ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus ihrer Tasche. Zuerst dachte ich, sie hätte einen von Igors Briefen aus meiner Truhe an sich genommen, aber ich täuschte mich. Auf dem Blatt waren, grob gezeichnet, zwei Figuren zu sehen: Ein großer, muskulöser Mann, das Gesicht zu einem grausamen Lächeln verzerrt, lag nackt auf einem Bett; mit einer Hand langte er nach der Kaiserkrone, die mit dem doppelköpfigen russischen Adler verziert war. Und eine Frau, der offenbar die Nase abgeschnitten worden war, stieg zu ihm ins Bett.
    »Das hat nichts zu bedeuten«, sagte ich und zerriss das Papier in kleine Fetzen. Irgendwie schaffte ich es, äußerlich gelassen zu bleiben.
    Sie hatte die Zeichnung unter meinem Kopfkissen gefunden, gestand Darja. Sie hatte gedacht, es sei eine geheime Botschaft wie die, die ihr Papa oft für sie versteckt hatte, als sie noch klein gewesen war.
    »Ich bin dir nicht böse«, sagte ich und wischte ihr die Tränen ab.
    Ich versprach ihr, mit der Kaiserin zu reden.
    Ich versprach ihr, dass alles gut werden würde.
    Als wir wieder im Winterpalast waren, fragte ich Mascha und die Dienstmädchen, ob irgendwelche fremde Personen mein Schlafzimmer betreten hatten. Sie versicherten hoch und heilig, dass keine Besucher da gewesen waren. Am Tag davor war ein Lakai des Großfürsten da gewesen, um Darja zur Ballettprobe abzuholen, aber der Mann hatte auf dem Flur gewartet und keinen Fuß über die Schwelle der Wohnungstür gesetzt.
    Ich schickte sie wieder weg.
    Argwohn ist ein hässliches Gefühl. Der Fluch aller Spione. Lange Minuten, die man damit verbringt, die Siegel auf Briefen, die man bekommen hat, genauestens zu untersuchen. Die warnende Stimme, die jedes strahlende Lächeln hinterfragt, die sich beim kleinsten Anzeichen von Neugier erhebt. Der wachsame Blick, der alles erfasst, was irgendwie aus dem Rahmen des Gewöhnlichen fällt, und der auch die allergewöhnlichsten Dinge in Zweifel zieht.
    Was machte das Dienstmädchen, wenn es in meinem Zimmer allein war? Warum legte sie plötzlich einen solchen Eifer an den Tag, den Rost im Kamin blitzblank zu schrubben?
    Ich untersuchte auch die Wände und vergewisserte mich, dass es keine Geheimtüren gab.
    Spinnen produzieren zwei Arten von Fäden, rief ich mir in Erinnerung: glatte, auf denen sie sich bewegen, und klebrige, mit denen sie ihre Beute fangen.
     
    Als Darja in dieser Nacht endlich schlafen ging, die Augen verweint, aber wieder mit sich im Reinen, hastete ich ruhelos durch die Korridore des Winterpalasts, vorbei an Spiegeln in goldenen Rahmen, an Räumen, die immer noch unfertig waren, weil Monsieur Rastrelli tief gekränkt nach Kurland abgereist war, nachdem Katharina befohlen hatte, einige der üppigen Vergoldungen in der kaiserlichen Suite zu entfernen.
    Mein Herz pochte wild, mir war ganz schwindlig von all den Fragen, die mir durch den Kopf gingen. Freundschaft flieht die Macht. Nein, dachte ich verbittert, die Mächtigen verscheuchen die Freundschaft.
    Im Geist sah ich Katharina, umhüllt von dem silbernen Mantel mit dem Hermelinbesatz und dem aufgestickten Doppeladler, in der Kathedrale von Moskau, sah, wie sie sich mit eigenen Händen die Krone aufsetzte.
    Und Bestuschews Worte hallten durch meine Gedanken: Jetzt beginnt sie zu glauben, dass sie es alles aus eigener Kraft geschafft hat … Sind Sie so sicher, dass sie Ihnen vertraut? … ein gewöhnlicher Spitzel, jederzeit austauschbar … Das Einzige, was Sie von anderen unterscheidet, ist, dass Sie sich für etwas Besonderes halten.
    Immer wieder blitzte das Bild von Darjas gequältem Gesicht auf, meines armen Kindes, das man zum Verrat verführt hatte. Eine unschuldige Seele, die sich selbst die Schuld dafür gab, dass sie dem Gift höfischer Bosheit zum Opfer gefallen war.
    Will ich meine Tochter alledem aussetzen?
    Ich schritt vorbei an Dienern, die auf dem Gang schliefen, den Kopf auf der Tischplatte, an Wachen, die sich beim Kartenspielen zankten. Mir fiel wieder ein, dass in letzter Zeit viel

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