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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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Hilverding an, ins Hoftheater umzuziehen. Dort durften nun ausgewählte Zuschauer bei den Proben dabeisein.
    Mir fiel auf, dass Darja von dieser Neuigkeit weniger entzückt war, als ich erwartet hatte, aber ich führte das auf Lampenfieber
zurück. Ich war deswegen vollkommen überrascht, als sie an jenem Frühlingstag ins Wohnzimmer trat und fragte: »Maman, wärst du sehr enttäuscht, wenn ich nicht in dem Ballett tanzen würde?« Sie vermied meinen Blick.
    »Wieso solltest du nicht tanzen?«, fragte ich.
    Erst am Tag zuvor hatte Herr Hilverding die Anmut meiner Tochter gelobt, ihre Ausdauer und Ausdruckskraft. »Sie ist erst vierzehn, aber sie hat bereits mehr Körperbeherrschung als die Tänzerinnen der Kaiserlichen Ballettschule«, hatte er geschwärmt.
    Darja antwortete nicht. Ich versuchte sie aus der Reserve zu locken: »Du kannst es mir ruhig sagen. Hast du vielleicht Angst, dass du noch nicht gut genug bist?«
    Sie schüttelte nur den Kopf. Ich sah, dass sie ihre Nägel abgebissen hatte. Das hatte sie früher nie getan.
    Ich klopfte auf den Platz neben mir auf dem Sofa. Zögernd setzte sie sich.
    Ich redete ihr gut zu. Sie brauche sich keine Sorgen zu machen, sagte ich, wenn sie erst einmal auf der Bühne stünde, wäre alle Angst vergessen. Ihr Vater wäre so stolz auf sie, wenn er sie zusammen mit dem Großfürsten hätte tanzen sehen können, bewundert vom ganzen Hof. Und die Kaiserin würde auch da sein.
    Erst in diesem Moment sah ich den goldenen Anhänger, den sie um den Hals trug.
    »Wo hast du das her?«, fragte ich und griff nach dem Schmuckstück, um es genauer anzusehen. Es war mit kleinen Edelsteinen besetzt, die Vergissmeinnicht-Blüten bildeten.
    »Von der Kaiserin«, murmelte sie. Sie schaute mich immer noch nicht an.
    »Hat sie es dir zur Belohnung für irgendetwas geschenkt? Du kannst es ruhig zugeben, es nichts Schlimmes dabei.«
    Sie nickte kaum wahrnehmbar.
    »Weil du so schön getanzt hast?«
    »Ja«, sagte sie – ein bisschen zu prompt, und sie wurde rot dabei.
    »Aber deswegen brauchst du doch nicht rot zu werden, Schätz
chen. Du musst dich daran gewöhnen, gelobt zu werden. Und wenn du jetzt auch noch lernst, dich immer schön gerade zu halten, wirst du eine ganz reizende Nymphe sein.«
    Sie streckte sofort die Wirbelsäule durch.
    »Ist es jetzt wieder gut? Kein Lampenfieber mehr?«, fragte ich und war erleichtert, als sie nickte.
    Ich sah ihr nach, als sie hinausging, den Rücken gerade, die Schultern zurückgenommen, den Kopf stolz erhoben. Ihre Bewegungen waren flüssig und graziös. Herr Hilverding war wirklich ein ausgezeichneter Lehrer, dachte ich. Kein Wunder, dass Katharina ihn unbedingt in Sankt Petersburg halten wollte. Es würde sie freuen, wenn ich ihr erzählte, dass er davon redete, ein Haus hier zu suchen. Fürs Erste nur zur Miete, wie ich von seinem Kammerdiener wusste, aber er wollte eines, das er später vielleicht kaufen konnte.
     
    Ich weiß bis heute nicht genau, wie Bestuschew es geschafft hatte, in mein Wohnzimmer vorzudringen.
    Mascha versicherte mir später, sie habe ihn nicht kommen hören. Die Dienstboten schworen, sie hätten ihn nicht bemerkt, geschweige denn sich von ihm bestechen lassen, aber ich glaubte ihnen nicht. Es ist nicht so schwierig, einen Lakaien oder ein Dienstmädchen in Versuchung zu führen – ich selbst hatte es oft genug praktiziert.
    Der frühere Kanzler konnte nur mit Mühe stehen. Er hatte eine Schnapsfahne, seine hervortretenden Augen glotzten glasig.
    »Sie haben auf meine schriftlichen Gesuche nicht reagiert, Gräfin Malikina«, sagte er mit schwerer Zunge. »Haben Sie die Kaiserin gebeten, mich zu empfangen?«
    Es gebe viele solche Gesuche, antwortete ich.
    »Ich kann mich noch an eine Zeit erinnern, da Sie durchaus willig waren, mir den einen oder anderen Gefallen zu erweisen.«
    Einen Moment lang dachte ich, ich hätte mich verhört, aber dann sah ich das schmierige Lächeln auf seinen Lippen.
    Ich erstarrte. »Verschwinden Sie«, zischte ich und streckte die Hand nach der Glocke aus, um einen Diener zu rufen.
    Aber Bestuschew kam mir zuvor.
    »Wieso sind Sie so bockig?«, fragte er. »Weil Sie sicher sind, dass die Kaiserin Sie braucht? Sie, die ihr immer treu war, der sie immer vertraut hat? Sie wissen es nicht, oder?«
    » Was weiß ich nicht?« Ich starrte ihm ins verschwitzte rote Gesicht. Ich verfluchte mich für meine Neugier, die mich dazu zwang, eben die Frage zu stellen, die der alte Fuchs mir in den Mund

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