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Der Winterschmied

Der Winterschmied

Titel: Der Winterschmied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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angesammelt.
    »Wir wollten dich nich' wecken«, sagte Rob Irgendwer, »aber der Kleine Billy meinte, du solltest dir das ansehen.«
    Tiffany gähnte. »Was soll ich mir ansehen?«, murmelte sie.
    »Fang ein paar Flocken auf«, sagte Rob. »Nein, nich' mit der Hand, dann schmelzen sie zu schnell.«
    Tiffany tastete im Dunkeln nach ihrem Tagebuch. Es war nicht da. Sie sah auf dem Boden nach, ob sie es herunter gestoßen hatte. Rob Irgendwer entzündete ein Streichholz und steckte damit eine Kerze an, und dort lag das Tagebuch, als hätte es immer dort gelegen. Allerdings bemerkte Tiffany, dass es verdächtig kalt war. Rob gab sich unschuldig, ein sicherer Hinweis auf seine Schuld.
    Tiffany sparte sich die Fragen für später auf und hielt das Tagebuch aus dem Fenster. Einige Flocken blieben darauf lie gen, und sie betrachtete sie aus der Nähe.
    »Das sind ganz normale...«, begann Tiffany. Dann stockte sie und sagte: »O nein... das muss ein Trick sein!« »Ach ja? Nun, so kann man es auch nennen«, sagte Rob. »Aber es is' sein Trick!«
    Im Schein der Kerze starrte Tiffany auf die Flocken.
    Jede einzelne war Tiffany Weh. Eine kleine, gefrorene, funkelnde Tiffany Weh.
    Unten lachte Fräulein Verrat.
    Jemand rüttelte wütend am Türknauf des Turmschlafzimmers. Roland de Chumsfanleigh (»Schufflei« ausgesprochen; er konnte nichts dafür) schenkte dem Geräusch ganz bewusst keine Beachtung.
    »Was machst du da drin, Kind?«, fragte entnervt eine gedämpfte Stimme.
    »Nichts, Tante Danuta«, sagte Roland, ohne sich vom Schreibtisch abzuwenden. Einer der Vorteile, in einem Schloss zu leben, bestand darin, dass man sich leicht in einem Zimmer verbarrikadieren konnte. Die Tür hatte drei eiserne Schlösser und zwei Riegel so dick wie Rolands Arm.
    »Dein Vater ruft nach dir!«, erklang eine andere, noch entnervtere Stimme.
    »Er flüstert, Tante Araminta«, erwiderte Roland ruhig und schrieb sorgfältig eine Adresse auf einen Umschlag. »Er ruft nur - und zwar um Hilfe -, wenn du die Ärzte auf ihn loslässt.«
    »Es ist doch nur zu seinem Besten!« »Aber er ruft um Hilfe«, sagte Roland und klebte den Umschlag zu.
    Tante Araminta rüttelte erneut am Türknauf. »Du bist ein sehr undankbares Kind! Du wirst noch verhungern, wart's nur ab! Wir rufen die Wachen und lassen die Tür von ihnen aufbrechen!«
    Roland seufzte. Das Schloss war von Leuten erbaut worden, die etwas dagegen hatten, sich ihre Türen aufbrechen zu lassen. Wer das versuchen wollte, musste den Rammbock eine schmale Wendeltreppe hochtragen,
    ohne ihn oben drehen zu können, und dann stand er vor dem Problem, eine vier Bretter dicke Tür einschlagen zu müssen, die aus so altem Eichenholz bestand, dass es hart wie Eisen ge worden war. Ein Mann konnte dieses Zimmer monatelang verteidigen, wenn er genug Proviant hatte.
    Roland hörte draußen noch ein leises Grummeln und dann das Klacken von Schuhen, als seine Tanten die Turmtreppe hinuntergingen. Unten schrien sie mal wieder die Wachen an.
    Es nützte ihnen nichts. Feldwebel Roberts und seine Wachen* nahmen nicht gern Befehle von den Tanten entgegen. Alle wussten: Wenn der Baron starb, bevor der Junge einundzwanzig war, wurden die Tanten so lange zu den rechtmäßigen Herrscherinnen über das Anwesen. Und so krank der Baron auch sein mochte, noch lebte er. Es war kein Vergnügen, ein ungehorsamer Wachmann zu sein, aber der Feldwebel und seine Männer überlebten den Zorn der Tanten, indem sie, sofern es die Befehle rechtfertigten, taub, dumm, vergesslich, verwirrt, krank, orientierungslos oder, in Kevins Fall, Ausländer waren.
    Derzeit beschränkte Roland seine Ausflüge auf die Zeit nach Mitternacht, wenn alle schliefen und er die Küche plündern konnte. Dann besuchte er auch seinen Vater. Die Ärzte stellten den Alten mit irgendetwas ruhig, aber Roland hielt ihm eine Zeit lang die Hand, in der Hoffnung, dass es ihm ein wenig Trost spendete. Wenn er Gläser mit Wespen und Blutegeln fand, warf er sie in den Schlossgraben.
    Er blickte auf den Briefumschlag hinab. Vielleicht sollte er Tiffany davon erzählen, aber er dachte nicht gern daran. Es würde sie beunruhigen, und vielleicht versuchte sie dann wieder, ihn zu retten, und das wäre nicht richtig. Mit dieser Sache musste er allein fertig werden. Schließlich war er ja nicht eingesperrt. Die Tanten waren ausgesperrt. Solange er  den Turm verteidigen konnte, gab es zumindest einen Ort, den sie nicht durchsuchen und plündern konnten. Die restlichen

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