Der Winterschmied
silbernen Kerzenleuchter lagen unter seinem Bett, zusammen mit dem, was von dem alten Silberbesteck (»Wir haben es fortgebracht, um den Wert schätzen zu lassen«, behaupteten die Tanten) und dem Schmuckkästchen seiner Mutter übrig war. Das Kästchen hatte er zu spät gefunden: Es fehlten bereits der Hochzeitsring und die Halskette aus Silber und Granat, ein Erbstück von ihrer Großmutter.
Am kommenden Tag wollte Roland früh aufstehen und mit dem Brief nach Zweihemden reiten. Er schrieb gern Briefe. Sie verwandelten die Welt in einen besseren Ort, denn man konnte das Schlechte darin weglassen.
Roland seufzte einmal mehr. Es wäre schön gewesen, Tif-fany zu erzählen, dass er in der Bibliothek ein Buch namens Belagerungen und wie man sie überlebt von dem berühmten General Callus Taktikus (dem Erfinder der »Taktik«, wie interessant) entdeckt hatte. Wer hätte gedacht, dass ein so altes Buch so nützlich sein konnte? Proviant war dem General sehr wichtig gewesen, und deshalb hatte sich Roland jede Menge Dünnbier, Wurst und Zwergenbrot besorgt, das man Leuten auf den Kopf fallen lassen konnte.
Er sah sich im Zimmer um. An der Wand hing ein Porträt seiner Mutter. Er hatte es aus dem Keller geholt, wo sie es zurückgelassen hatten (angeblich wartete es darauf, gereinigt zu werden). Wenn man wusste, wonach es Ausschau zu halten galt, bemerkte man rechts davon eine Stelle an der Wand, die so groß wie eine kleine Tür war und aus etwas helleren Steinen bestand. Der Kerzenleuchter daneben saß ein wenig schief.
Es hatte viele Vorteile, in einem Schloss zu wohnen.
Draußen begann es zu schneien.
Aus dem Dachstroh von Fräulein Verrats Hütte lugten die Wir-sind-die-Größten in die fallenden Schneeflocken hinaus. In dem bisschen Licht, das unten durch die schmutzigen Fenster nach draußen sickerte, beobachteten sie, wie winzige Tiffanys vorbeischwebten.
»Sag es mit Schneeflocken«, sagte der Große Yan. »Ha!«
Der Doofe Wullie fing eine fallende Flocke auf. »Ihr müsst zugeben, dassa den kleinen spitzen Hut richtig gut hingekriegt hat. Offenbar hat er die große kleine Hexe sehr gern...«
»Das ergibt keinen Sinnl«, stieß Rob Irgendwer hervor. »Er is' der Winter! Er is' Schnee un' Eis un'
Schneestürme un' Frost. Und sie is' bloß ein kleines großes Mädchen! Man kann wohl kaum sagen, dass sie ein ideales Paar sin'! Was meinst du, Billy? Billy?«
Der Dudler kaute nachdenklich am Mundstück seiner Mäusedudel und betrachtete geistesabwesend die Flocken. In Gedanken schien er weit weg zu sein, aber Robs Stimme hatte ihn trotzdem erreicht, denn er sagte: »Was weiß der Winterschmied über die Menschen? Er ist nicht einmal so lebendig wie ein kleines Insekt und doch so mächtig wie das Meer. Und er mag die große kleine Hexe. Warum? Was kann sie ihm bedeuten? Was tut er als Nächstes? Ich sag' euch was: Die Schneeflocken sind nur der Anfang. Wir müssen aufpassen, Rob. Dies könnte sehr schlimm werden...«
Oben in den Bergen fielen 990393072007 Tiffany Wehs auf den alten Firnschnee eines Gebirgskamms und lösten eine Lawine aus, die mehr als hundert Bäume und eine Jagdhütte fortriss. Es war nicht Tiffanys Schuld.
Es war nicht ihre Schuld, dass Leute auf festgetrampelten Schichten aus ihr ausrutschten, die Tür nicht öffnen konnten, weil sie sich davor aufstapelte, oder von Bällen aus ihr getroffen wurden, von Kinderhand geworfen. Bis zur Frühstückszeit des nächsten Tages war der größte Teil von ihr geschmolzen, und niemand bemerkte etwas Außergewöhnliches, abgesehen von Hexen, die nicht unbedingt glaubten, was die Leute sagten, und von vielen Kindern, auf die niemand hörte.
Trotzdem war Tiffany das alles äußerst peinlich, als sie erwachte.
Fräulein Verrat war da keine große Hilfe.
»Wenigstens mag er dich«, sagte sie und zog voller Hingabe ihre Uhr auf.
»Davon weiß ich nichts, Fräulein Verrat«, erwiderte Tiffany, denn sie hatte überhaupt keine Lust, darüber zu reden. Sie wusch das Geschirr in der Spüle ab, kehrte der alten Hexe dabei den Rücken zu und war froh, dass diese ihr Gesicht nicht sehen konnte - und umgekehrt.
»Ich frage mich, was dein junger Mann dazu sagen wird.«
»Welchen jungen Mann meinst du, Fräulein Verrat?«, erwiderte Tiffany so gleichgültig wie möglich.
»Er schreibt dir Briefe, Mädchen!«
Und ich schätze, du liest sie mit meinen Augen, dachte Tiffany. »Roland? Er ist nur... eine Art Freund«, sagte sie.
»Eine Art Freund?«
Darauf
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