Der Winterschmied
letzter Zeit mal überprüft?
Schnee fiel sachte aus der Dunkelheit. Er sammelte sich auf Dächern, küsste sich einen Weg durch das Geäst der Bäume und blieb mit leisem Zischen und einem scharfen, metallischen Geruch auf dem Boden liegen.
Oma Wetterwachs sah sich den Schnee immer genau an. Sie stand vom Kerzenschein umströmt in der Tür ihrer Hütte und fing mit der Rückseite einer Schaufel Flocken auf.
Die kleine weiße Katze beobachtete die Schneeflocken. Mehr nicht. Sie schlug nicht mit der Pfote danach, sondern beobachtete nur mit großer Aufmerksamkeit, wie jede einzelne Flocke herabschwebte und auf dem Boden liegen blieb. Dann betrachtete sie sie noch etwas länger, bis sie sicher sein konnte, dass es nicht Unterhaltsames mehr zu gucken gab, hob den Kopf und suchte sich eine neue Flocke aus.
Die Katze hieß Du!, wie in »Du! Hör auf damit!« und »Du! Komm da herunter!«. Was Namen anging, war Oma Wetterwachs nicht besonders fantasievoll.
Oma betrachtete die Schneeflocken und lächelte auf ihre nicht unbedingt freundliche Art.
»Komm herein, Du«, sagte sie und schloss die Tür.
Fräulein Tick saß fröstelnd am Feuer. Es war nicht sehr groß, sondern gerade groß genug. Der Geruch von Speck und Erbsen stieg von einem kleinen Topf auf der glühenden Asche auf, und daneben stand ein viel größerer Topf, aus dem es nach Hühnchen duftete. Fräulein Tick bekam nicht oft Hühnchen, und deshalb hoffte sie inständig, etwas davon abzukriegen.
Es muss gesagt werden, dass sich Oma Wetterwachs und Fräulein Tick nicht sonderlich mochten. Ältere Hexen waren sich oft unsympathisch. Man merkte es daran, dass sie die ganze Zeit über betont höflich waren.
»Der Schnee kommt früh in diesem Jahr, Frau Wetterwachs«, sagte Fräulein Tick.
»In der Tat, Fräulein Tick«, erwiderte Oma Wetterwachs. »Und er ist... interessant. Hast du ihn dir angesehen?« »Ich kenne Schnee, Frau Wetterwachs«, sagte Fräulein Tick. »Es hat den ganzen Weg bis hierher geschneit. Ich musste helfen, die Postkutsche anzuschieben! Mir hängt der Schnee zum Hals heraus! Aber was wollen wir in Hinsicht auf Tiffany Weh unternehmen?«
»Nichts, Fräulein Tick. Noch etwas Tee?« »Wir sind für sie verantwortlich.«
»Nein. Sie ist in erster Linie für sich selbst verantwortlich. Sie ist eine Hexe. Sie hat den Wintertanz getanzt. Ich habe sie dabei gesehen.«
»Das hat sie bestimmt nicht mit Absicht gemacht«, sagte Fräulein Tick.
»Wie kann man unabsichtlich tanzen?«
»Sie ist jung. Ihre Gefühle sind vermutlich mit ihr durchgegangen. Sie hatte keine Ahnung, was da vor sich ging.«
»Dann hätte sie es herausfinden sollen«, sagte Oma Wetterwachs. »Sie hätte auf mich hören müssen.«
»Du bist bestimmt immer gehorsam gewesen, als du dreizehn warst, Frau Wetterwachs«, sagte Fräulein Tick mit einem Hauch Sarkasmus.
Oma Wetterwachs starrte einige Sekunden an die Wand. »Nein«, erwiderte sie. »Ich habe Fehler gemacht. Aber ich habe nicht versucht, sie zu rechtfertigen.«
»Ich dachte, du wolltest dem Kind helfen?«
»Ich habe ihr geholfen, sich selbst zu helfen. Das ist meine Art. Sie hat sich in die älteste Geschichte der Welt getanzt, und der einzige Ausweg befindet sich am anderen Ende. Der einzige Ausweg, Fräulein Tick.«
Fräulein Tick seufzte. Geschichten, dachte sie. Oma Wetterwachs glaubt, die Welt dreht sich nur um Geschichten. Na schön, jeder von uns hat seinen Tick. Nur ich nicht.
»Natürlich. Aber sie ist... so normal«, sagte sie laut. »Wenn man berücksichtigt, was sie schon geleistet hat, meine ich. Und sie denkt so viel nach. Und jetzt ist der Winterschmied auf sie aufmerksam geworden...«
»Sie fasziniert ihn«, sagte Oma Wetterwachs.
»Das wird noch zu einem großen Problem.«
»Das sie lösen muss.«
»Und wenn sie es nicht lösen kann?«
»Dann ist sie nicht Tiffany Weh«, sagte Oma Wetterwachs mit fester Stimme. »Ja, sie ist jetzt mitten in der Geschichte, sie weiß es nur noch nicht! Sieh dir den Schnee an, Fräulein Tick. Es heißt, keine zwei Schneeflocken würden einander gleichen. Wieso behaupten die Leute so etwas?
Die halten sich wohl für sehr schlau! Mir war immer klar, dass sie sich irren, und jetzt habe ich den Beweis dafür! Geh nach draußen und schau dir den Schnee an, Fräulein Tick! Alle Flocken sehen gleich aus!«
Tiffany hörte ein Klopfen und öffnete mit einiger Mühe das kleine Schlafzimmerfenster. Weicher, flauschiger Schnee hatte sich auf dem Fensterbrett
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