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Der Winterschmied

Der Winterschmied

Titel: Der Winterschmied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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Mitternacht kann jede eine Hexe sein, dachte sie. Aber um im Mittagslicht eine Hexe zu sein, muss man richtig gut sein.
    Zumindest muss man gut darin sein, eine Hexe zu sein, dachte Tiffany, als sie auf die Brücke zurückkehrte.
    Nicht unbedingt gut darin, ein glücklicher Mensch zu sein.
    Sie warf die um den Stock gewickelte Kette von der Brücke.
    Tiffany machte keine große Sache daraus. Es wäre schön, wenn sie sagen könnte, dass das silberne Pferd im Licht funkelte und einen Moment in der Luft schwebte, bevor es in die Tiefe fiel. Vielleicht war das tatsächlich der Fall, aber Tiffany sah nicht hin.
    »Gut«, sagte Oma Wetterwachs.
    »Ist jetzt alles vorbei?«, fragte Tiffany.
    »Nein! Du hast dich in eine Geschichte getanzt, Mädchen, in eine Geschichte, die sich der Welt alle Jahre wieder erzählt. Es ist die Geschichte von Eis und Feuer, Sommer und Winter. Du hast sie durcheinander gebracht. Jetzt musst du bis zum Schluss bleiben und dafür sorgen, dass sie richtig endet. Durch das Pferd gewinnst du nur Zeit, das ist alles.«
    »Wie viel Zeit?«
    »Das weiß ich nicht. So etwas ist noch nie zuvor geschehen. Wenigstens etwas Zeit zum Nachdenken. Wie geht's deinen Füßen?«
    Auch der Winterschmied bewegte sich durch die Welt, aber ohne sich im menschlichen Sinne zu bewegen. Er war überall dort, wo es Winter war.
    Er versuchte zu denken. Das hatte er nie zuvor getan, und es schmerzte. Bisher waren Menschen nur Teile der Welt gewesen, die sich auf sonderbare Weise bewegten und Feuer anzündeten. Jetzt bastelte er sich einen Verstand, und alles war neu.
    Ein Mensch... der aus menschlichen Dingen besteht... Das hatte sie gesagt.
    Menschliche Dinge. Für seine Geliebte musste er dafür sorgen, dass er aus menschlichen Dingen bestand. In kalten Leichenschauhäusern und Schiffswracks schwebte der Winterschmied durch die Luft und suchte nach menschlichen  Dingen. Und was war das? Größtenteils Erde und Wasser. Wenn man einen Menschen lange genug sich selbst überließ, verschwand sogar das Wasser, und dann blieben nur einige Hände voll Staub übrig, den der Wind davonwehte.
    Wasser konnte nicht denken, woraus folgte, dass der Staub dafür zuständig war.
    Der Winterschmied verhielt sich logisch, denn auch Eis tat das. Wasser verhielt sich logisch. Wind auch. Es gab Regeln. Ein Mensch war also nur... die richtige Art von Staub!
    Und während er danach suchte, konnte er zeigen, wie stark er war.
    An jenem Abend saß Tiffany auf der Kante ihres neuen Bettes, und die Wolken des Schlafes stiegen wie die Vorboten eines Gewitters in ihrem Gehirn auf. Sie gähnte und blickte auf ihre Füße.
    Sie waren rosarot, und jeder Fuß hatte fünf Zehen. Eigentlich waren sie ganz in Ordnung
    Wenn sich Menschen begegneten, so sagten sie meistens so etwas wie: »Wie geht es dir?« Nanny Ogg hatte nur
    gesagt: »Komm herein. Wie geht's deinen Füßen?«
    Plötzlich interessierten sich alle für ihre Füße. Natürlich waren Füße wichtig, aber was sollte nach Meinung der Leute schon damit geschehen?
    Tiffany drehte sie am Ende der Beine hin und her. Sie verhielten sich nicht ungewöhnlich, und deshalb kroch sie unter die Bettdecke.
    Die vergangenen beiden Nächte hatte sie nicht richtig geschlafen. Das war ihr erst klar geworden, als sie bei Tir Nani Ogg eintraf, woraufhin ihr Gehirn ein sonderbares Eigenleben entwickelte. Sie hatte mit Frau Ogg gesprochen,  konnte sich aber kaum daran erinnern worüber. Stimmen hatten in ihren Ohren gedröhnt. Jetzt endlich gab es nichts anderes mehr zu tun, als zu schlafen.
    Es war ein gutes Bett, das beste, in dem sie jemals gelegen hatte. Und es war das beste Zimmer, in dem sie jemals gewohnt hatte, auch wenn sie zu müde gewesen war, es sich genauer anzusehen. Hexen legten keinen großen Wert auf Komfort, erst recht nicht in Gästezimmern, aber Tiffany war mit einem uralten Bett aufgewachsen, dessen Federn bei jeder Bewegung quietschten - mit ein wenig Geschick konnte man sie eine Melodie spielen lassen.
    Diese Matratze war dick und gab nach. Sie sank darin ein wie in sehr weichen, sehr warmen und sehr trägen Treibsand.
    Das Problem ist, dass man zwar die Augen schließen, aber nicht das Gehirn abschalten kann. Als Tiffany so im Dunkeln lag, kritzelten ihre Gedanken Bilder in ihren Kopf, von Uhren, die Klankklonk machten, von Schneeflocken, die wie sie aussahen, von Fräulein Verrat, die durch den nächtlichen Wald wandelte und nach bösen Leuten suchte, den gelben Daumennagel bereit.
    Sie

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