Der Winterschmied
Tiffany. Du liebe Güte.
Sie hatte sich manchmal gefragt, ob sie eines Tages heiraten würde, aber sie zweifelte nicht daran, dass es für »eines Tages« noch zu früh war. Ja, ihre Mutter hatte als Vierzehnjährige geheiratet, aber so etwas war früher nicht ungewöhnlich gewesen. Es gab noch viele Dinge, die getan werden mussten, bevor Tiffany heiraten wollte, da war sie ganz sicher.
Außerdem, wenn man genauer darüber nachdachte... irx. Er war nicht einmal ein Mensch. Bestimmt war er zu... Der Wind knallte in den Segeln. Das Schiff knarrte und neigte sich zur Seite, und alle riefen Tiffany etwas zu. Die meisten riefen: »Das Rad! Halt das Rad fest!« Gelegentlich erklang auch ein verzweifeltes »Höchster Rauchgenuss bei jedem Wetter!«
Tiffany drehte sich um und sah, wie sich das Steuerrad rasend schnell drehte. Sie griff danach und bekam von den Speichen einen Schlag auf die Finger. In der Nähe lag ein zusammengerolltes Seil, und es gelang ihr, das Steuerrad mit einer lassoartigen Schlaufe einzufangen und anzuhalten, ohne allzu weit übers Deck zu schlittern. Dann ergriff sie das Rad und versuchte, es in die andere Richtung zu drehen. Es war so, als versuche sie, ein Haus anzuschieben, aber schließlich bewegte sich das Rad, ganz langsam zunächst und dann, als sie sich richtig ins Zeug legte, etwas schneller.
Das Schiff drehte bei. Tiffany merkte, dass sich der Bug des Seglers ein wenig vom Eisberg fortneigte und nicht mehr direkt darauf zeigte. Gut! Endlich entwickelten sich die Dinge in die richtige Richtung! Sie drehte das Rad noch ein wenig weiter, und die gewaltige kalte Wand glitt vorbei und füllte die Luft mit Dunst. Es würde doch noch alles gut...
Das Schiff rammte den Eisberg.
Es begann mit einem einfachen Knacks! Eine Spiere war gegen einen Eisvorsprung gestoßen, doch dann schrammte das Schiff am Eis entlang, und weitere Teile der Takelage zerbrachen. Es folgten scharfe Splittergeräusche, als das Schiff sich in den Eisberg bohrte, und Plankenteile wurden von Fontänen aus schäumendem Wasser in die Luft gehoben. Der obere Teil eines Mastes brach und riss Segel und Takelage mit sich. Ein Eisbrocken prallte dicht vor Tiffany aufs Deck, und ein Nadelregen ging auf sie nieder.
»So war das nicht geplant!«, keuchte sie und hielt sich am Ruder fest.
Heirate mich, sagte der Winterschmied.
Die Gischt toste über das sinkende Schiff. Tiffany hielt sich noch einen Moment länger fest, und dann rauschte die kalte Flut über sie hinweg... nur dass sie plötzlich nicht mehr kalt, sondern warm war. Aber sie hinderte sie trotzdem am Atmen. In der Dunkelheit kämpfte sie sich nach oben, bis es plötzlich hell wurde, Licht in ihre
Augen schien und jemand sagte: »Diese Matratze ist bestimmt viel zu weich, aber Frau Ogg hört ja nicht auf mich.«
Tiffany blinzelte. Sie lag im Bett, und eine dürre Frau mit wirrem Haar und einer ziemlich roten Nase stand daneben.
»Du hast dich wie verrückt hin und her gewälzt«, sagte die Frau und stellte einen dampfenden Becher aufs Nachtschränkchen. »Einiges Tages erstickt noch jemand in diesem Bett, wart's nur ab.«
Tiffany blinzelte erneut. Ich sollte jetzt denken: Ach, es war nur ein Traum. Aber es war nicht einfach ein Traum. Nicht mein Traum.
»Wie spät ist es?«, brachte sie hervor.
»Ungefähr sieben«, antwortete die Frau.
»Sieben!« Tiffany schlug die Decke beiseite. »Ich muss aufstehen! Frau Ogg wartet sicher auf ihr Frühstück!« »Das glaube ich nicht. Ich habe es ihr vor zehn Minuten ans Bett gebracht«, sagte die Frau und bedachte Tiffany mit einem seltsamen Blick. »Und jetzt gehe ich heim.« Sie schniefte. »Trink deinen Tee, bevor er kalt wird.« Damit ging sie zur Tür.
»Ist Frau Ogg krank?«, fragte Tiffany, während sie ihre Socken suchte. Sie hatte noch nie gehört, dass jemand, der nicht sehr alt oder sehr krank war, im Bett aß.
»Krank? Ich glaube, sie ist in ihrem ganzen Leben keinen einzigen Tag krank gewesen«, sagte die Frau in einem Ton, als hielte sie das irgendwie für ungerecht. Dann schloss sie die Tür.
Der Boden des Schlafzimmers war glatt, und zwar nicht, weil Füße jahrhundertelang die Dielenbretter abgewetzt und alle Splitter entfernt hatten, sondern weil er mit Sand abgeschmirgelt und anschließend lackiert worden war. Tiffanys nackte Füße klebten leicht daran fest. Staub fehlte ebenso wie Spinnweben. Das Zimmer war hell, frisch und ganz und gar nicht so, wie ein Raum in einem Hexenhaus sein
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