Der Winterschmied
hoffnungsvoll. »Sie sagt, ich sollte ihrer bäuerlichen Weisheit vertrauen.«
»Nun, die Alte, die bei dir war, ist Frau Obbel, und sie besitzt keine bäuerliche Weisheit, sondern bäuerliche Igno ranz«, erwiderte Tiffany. »Wenn man nicht aufpasst, legt sie Laubmulch auf Wunden. Weißt du, nur weil eine Frau keine Zähne mehr hat, ist sie noch lange nicht weise. Es könnte sogar bedeuten, dass sie lange Zeit dumm gewesen ist. Lass sie bis zur Geburt nicht in Frau Oslicks Nähe. Und es wird keine leichte Geburt sein.«
»Oh, ich kenne viele Zauberformeln, die hilfreich sein können...«
»Nein! Keine Magie! Nur um ihr den Schmerz zu nehmen! Das weißt du doch, oder?«
»Ja, aber Frau Ohrwurm sagt...«
»Warum gehst du dann nicht und bittest Frau Ohrwurm um Hilfe?«
Annagramma starrte Tiffany groß an. Der Satz war etwas lauter als beabsichtigt aus ihr herausgeplatzt. Und dann veränderte sich Annagrammas Gesicht zu etwas, das wohl ein freundlicher Ausdruck sein sollte. Dadurch sah sie ein bisschen irre aus.
»He, ich habe eine großartige Idee!«, sagte sie mit einer Stimme so hell wie ein Kristall kurz vor dem Zerspringen. »Warum kommst du nicht mit zur Hütte zurück und arbeitest für mich?«
»Nein. Ich muss mich um andere Dinge kümmern.«
»Aber du kennst dich doch so gut mit all diesem ekligen Kram aus, Tiffany«, sagte Annagramma mit honigsüßer Stimme. »Das scheint dir zu liegen.«
»Das kommt, weil ich schon als kleines Kind beim Ablammen geholfen habe. Wenn man so kleine Hände hat, kann man in die Schafe hineingreifen und Dinge entwirren.«
Und jetzt bekam Annagramma den gequälten Gesichtsausdruck, den sie immer hatte, wenn sie etwas nicht sofort verstand.
»Hineingreifen? In die Schafe? Du meinst, durch den...«
»Ja, natürlich.«
»Dinge entwirren?«
»Manchmal versuchen die Lämmer, rückwärts geboren zu werden«, sagte Tiffany.
»Rückwärts«, murmelte Annagramma schwach.
»Und es kann noch schlimmer werden, wenn es Zwillinge sind.«
»Zwillinge...« Dann sagte Annagramma so, als hätte sie die Schwachstelle in Tiffanys Geschichte entdeckt:
»Aber ich habe schon viele Bilder von Schäfern und Schafen gesehen, und da war nie so was drauf. Ich dachte, Schäfer... stehen einfach da und beobachten die Schafe beim Grasfressen.«
Manchmal bekam man das Gefühl, dass die Welt ein besserer Ort gewesen wäre, wenn Annagramma hin und wieder mal eine Ohrfeige bekommen würde. Die dummen, gedankenlosen Beleidigungen, ihr kolossaler Mangel an Interesse an allen Menschen außer ihr selbst, der Umstand, dass sie einen behandelte, als wäre man schwerhörig und ein bisschen blöd... das konnte einen zur Weißglut bringen. Aber man nahm es hin, weil man dann und wann einen Blick auf das erhaschen konnte, was sich dahinter verbarg: ein ängstliches, verzweifeltes Gesicht, das die Welt beobachtete wie ein Häschen den Fuchs. Das Häschen schrie den Fuchs an, in der Hoffnung, dass er weglief und ihm nichts tat. Und eine Versammlung von Hexen, die als klug galten, hatte ihr diese Hütte anvertraut, was selbst für eine erfahrene Hexe eine schwierige Aufgabe gewesen wäre.
Es ergab keinen Sinn.
Nein, es ergab überhaupt keinen Sinn.
»So was passiert nur bei einer schweren Geburt«, sagte Tiffany, während es in ihrem Kopf hektisch arbeitete. »Und die findet unter freiem Himmel statt, in Dunkelheit, Kälte und Regen. Maler scheinen bei solchen Gelegenheiten nie zugegen zu sein. Erstaunlich.«
»Warum siehst du mich so an?«, fragte Annagramma. »Als wäre ich gar nicht da!«
Tiffany blinzelte. Na schön, dachte sie. Wie packe ich die Sache an?
»Also gut, ich komme und helfe dir beim Aufbahren«, sagte sie so ruhig wie möglich. »Und ich schätze, ich kann dir auch bei Frau Oslick helfen. Oder frag Petulia. Sie ist gut. Doch die Totenwache musst du selbst übernehmen.«
»Ich soll die ganze Nacht bei einem toten Menschen sitzen?«, fragte Annagramma und schauderte.
»Du kannst dir was zu lesen mitnehmen«, schlug Tiffany vor.
»Ich schätze, ich könnte den Stuhl mit einem Schutzkreis umgeben...«, murmelte Annagramma.
»Nein«, sagte Tiffany. »Keine Magie. Das hat dir Frau Ohrwurm doch bestimmt gesagt, oder?«
»Aber ein Schutzkreis...«
»Er weckt Aufmerksamkeit. Er könnte etwas anlocken, das nachschauen will, warum er da ist. Keine Sorge, die Totenwache soll nur die alten Leute glücklich machen.«
»Ah... was meinst du damit, dass er irgendwas anlocken könnte?«, fragte
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