Der Winterschmied
verzehrt. Danach flogen sie immer noch schweigend zu der Hütte zurück, die für die Dorfbewohner wahrscheinlich stets »Fräulein Verrats Hütte« bleiben würde.
Ein kleiner Junge wartete dort. Als Tiffany und Annagramma landeten, sprudelte er hervor: »Frau Obbel sagt, das Baby ist unterwegs, und sie sagt, ihr würdet mir einen Cent dafür geben, dass ich hierher gelaufen bin.«
»Du hast doch eine Tasche, oder?«, wandte sich Tiffany an Annagramma.
»Ja, äh, viele.«
»Ich meine eine Bereitschaftstasche. Du weißt schon, sie steht immer neben der Tür, mit allen Dingen drin, die man braucht, wenn...«
Tiffany sah den erschrockenen Ausdruck in Annagrammas Gesicht. »Na schön, du hast also keine Tasche. Dann müssen wir eben so zurechtkommen. Gib ihm einen Cent und lass uns aufbrechen.«
»Können wir nicht jemanden um Hilfe bitten, falls etwas schief geht?«, fragte Annagramma, als sie abhoben. »Wir sind die Hilfe«, erwiderte Tiffany schlicht. »Und da du die hiesige Hexe bist, überlasse ich dir den schweren Teil...«
...womit sie meinte, Frau Obbel zu beschäftigen. Frau Obbel war keine Hexe, obwohl die meisten Leute sie dafür hielten. Sie sah wie eine aus - anders ausgedrückt, sie sah aus, als hätte sie an dem Tag, als bei Boffo behaarte Warzen im Sonderangebot waren, alle aufgekauft -, und sie war ein wenig verrückt. Man musste sie mindestens eine Meile von einer Mutter fernhalten, die ihr erstes Kind bekam, denn sonst würde sie ihr ausführlich schildern (beziehungsweise vorgackeln), was alles schief gehen konnte, und zwar so, als würde tatsächlich alles schief gehen. Aber eigentlich war sie keine schlechte Krankenschwester, wenn man sie daran hinderte, jedes Leiden mit einer Packung aus Laubmulch zu behandeln.
Es ging recht laut und ziemlich chaotisch zu, aber Frau Obbels Prophezeiungen bewahrheiteten sich nicht. Das Ergebnis war ein Junge, der nur deshalb nicht zu Boden fiel, weil Tiffany ihn auffing. Annagramma wusste nicht, wie man Babys hielt.
Doch sie sah gut aus mit ihrem spitzen Hut, und da sie ganz offensichtlich älter war als Tiffany und kaum mit anpackte, hielten die Frauen sie für die Oberhexe.
Tiffany ließ sie mit dem Baby im Arm (diesmal richtig herum) und stolzer Miene zurück und begann dann mit dem langen Rückflug durch den Wald nach Tir Nani Ogg. Es war ein frischer Abend, und der Wind wehte pieksige Schneekristalle von den Bäumen. Der Flug schien kein Ende nehmen zu wollen, und es wurde immer kälter. Er kann nicht wissen, wo ich bin, sagte sie sich immer wieder, während sie durch die Abenddämmerung flog. Und er ist nicht besonders clever. Der Winter muss irgendwann zu Ende gehen, oder?
Äh... wie denn?, fragten ihre Zweiten Gedanken. Fräulein Tick meint, es genügt, wenn du einfach nur da bist, aber bestimmt musst du irgendwas tun, oder?
Vielleicht sollte ich mit bloßen Füßen herumlaufen, dachte Tiffany.
Überall?, fragten die Zweiten Gedanken, während sie die Bäume umkurvte.
Wahrscheinlich ist es so ähnlich, wie eine Art Königin zu sein, sagten die Dritten Gedanken. Sie sitzt nur in einem Palast und fährt vielleicht ein wenig in einer großen Kutsche herum und winkt, und dabei regiert sie ein riesiges Königreich.
Doch während Tiffany weiteren Bäumen auswich, versuchte sie gleichzeitig, dem Gedanken auszuweichen, der sich hartnäckig in ihr Bewusstsein zu stehlen versuchte: Früher oder später, auf die eine oder andere Weise, wird er dich finden... und wie kann er einen Mann aus sich machen?
Hilfspostmeister Grütze hielt nichts von Ärzten. Sie machten einen krank, fand er. Deshalb streute er jeden Morgen Schwefel in seine Socken und konnte stolz von sich behaupten, dass er in seinem ganzen Leben nicht
einen Tag krank gewesen war. Vielleicht lag es daran, dass sich wegen des Geruchs kaum jemand in seine Nähe wagte. Doch jetzt näherte sich ihm etwas. Ein Windstoß fauchte ins Postamt, als er eines Morgens die Tür öffnete, und zog ihm glatt die Socken aus.::"
Und niemand hörte den Winterschmied sagen: »Genug Schwefel, um einen Menschen zu machen!«
Nanny Ogg saß am Kamin, als Tiffany hereinkam und sich den Schnee von den Stiefeln trampelte.
»Du siehst ja völlig durchgefroren aus«, sagte sie. »Du brauchst ein Glas heiße Milch mit einem Tropfen Brandy drin, das brauchst du.«
»Ooh, j-ja...«, brachte Tiffany zwischen klappernden Zähnen hervor.
»Bring mir eins mit, ja?«, sagte Nanny. »War nur ein Scherz. Wärm du dich
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