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Der Wissenschaftswahn

Der Wissenschaftswahn

Titel: Der Wissenschaftswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rupert Sheldrake
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Bedeutung »Absicht, Sinn« ab. In dem Wort »Intention« steckt das lateinische
intendere
, das spannen oder anspannen bedeutet und dem Wort etwas von gespannter Aufmerksamkeit im Hinblick auf ein Bestreben oder Vorhaben gibt. Werfen wir noch einen Blick auf das Fremdwort »Teleologie«, in dem das griechische Wort
télos
– »Zweck, Ziel, Ende« – steckt und das wir deshalb grob als »Lehre von den Zwecken oder Zielen« übersetzen können.
    Diese Begriffe umschreiben etwas, das nicht ganz einfach zu erfassen ist. Ziele und Zwecke befinden sich ja eigentlich in einem virtuellen Raum und nicht in der greifbaren Realität. Sie setzen einen Organismus zu etwas in Beziehung – einem Ziel –, das noch nicht erreicht ist, sie sind in der Sprache der Dynamik (hier ist damit ein Zweig der modernen Mathematik gemeint)
Attraktoren
. Zwecke oder Attraktoren sind nicht materieller Natur, und doch können von ihnen physikalische Wirkungen auf materielle Körper ausgehen. Bei dem, was Sie tun, um Ihre Ziele zu erreichen, handelt es sich um objektive Phänomene, die man messen und sogar filmen kann. Oder nehmen wir einen Rüden an der Leine, der heftig in Richtung einer läufigen Hündin strebt und dabei eine Kraft entfaltet, die man zum Beispiel mit einer Zugwaage messen könnte. Das Verlangen des Hundes setzt sich in messbare Kraft und Richtung um. Absichten oder Antriebe sind Ursachen, aber sie wirken nicht als Schubkraft von der tatsächlichen Vergangenheit her, sondern als Zugkraft einer virtuellen Zukunft.
    In der an Aristoteles angelehnten und von Thomas von Aquin ausgeformten Philosophie des Mittelalters galt, dass lebendige Organismen ihre ganz eigenen, durch ihre Seele gegebenen Zwecke und Ziele besitzen. Für Tiere und Pflanzen ging es letztlich darum, zu wachsen, sich am Leben zu erhalten und sich zu vermehren. Ihre Zwecke und Ziele wurden als »finale Ursachen« bezeichnet, die durch Anziehung wirkten. Das Telos oder Ziel einer Eichel lag darin, eine Eiche zu werden und sich wieder zu vermehren. Nach dieser Sicht der Dinge wirken finale Ursachen wie ein Zug aus der Zukunft, während bewegende Ursachen einen Schub aus der Vergangenheit darstellen.
    Die mechanistische Revolution in der Naturwissenschaft des siebzehnten Jahrhunderts fegte alle Ziele, Zwecke und finalen Ursachen vom Tisch. Alles musste eine mechanische Erklärung bekommen, Materie wurde – wie etwa in der Billardkugel-Physik – aus der Vergangenheit angeschoben oder von gegenwärtig herrschenden Kräften wie der Gravitation beeinflusst. Die vierhundert Jahre alte Lehre gehört immer noch zu den Glaubensartikeln der Naturwissenschaft, nur stimmt sie eben nicht mit den Fakten überein. Deshalb müssen die Naturwissenschaftler heimlich immer wieder Zwecke und Ziele einführen, ohne sie jedoch als solche zu benennen.

Die Ziele lebendiger Organismen
    Maschinen haben anders als Lebewesen keine eigenen inneren Zielsetzungen. Ein Auto verspürt anders als ein Pferd nicht den Wunsch, sich eher hierhin als dorthin zu bewegen. Auch ein Computer hat selbst nichts vor, sondern führt einfach nur Programme aus, die darauf ausgelegt sind, den Zwecken seines Benutzers zu dienen. Ein Lenkflugkörper wählt sein Ziel nicht selbst, es ist ihm einprogrammiert. Eine Wettflugtaube dagegen steuert gezielt den heimatlichen Schlag an. Maschinen dienen menschlichen Zwecken, die nicht in der Maschine selbst liegen, während Organismen, auch Menschen, ihre eigenen Ziele und Zwecke haben. Wie wir noch sehen werden, kommt ihr Zweck zunächst in der
Morphogenese
oder »Form-Werdung« zum Ausdruck, das heißt in der Entstehung ihrer äußeren Körperform, zum Beispiel in der Entwicklung einer Buche aus einer Buchecker oder eines Eisvogels aus einem Ei.
    Die mechanistische Philosophie gab also den Gedanken der finalen Ursache auf, und fortan gab es in der Natur keine in ihr selbst liegenden Zielsetzungen mehr. Heutige Biologiestudenten denken nicht in Zwecken, sondern müssen alles unter dem Gesichtspunkt eines neodarwinistischen Evolutionsdenkens betrachten: Ein Auge ist nicht dazu da, das Sehen zu ermöglichen, sondern ist einfach das Produkt genetischer Zufallsmutationen, die sich im Prozess der natürlichen Auslese entweder durchsetzen oder nicht. Augen haben sich entwickelt, weil Tiere, die sehen können, bessere Überlebens- und Vermehrungschancen haben als solche, die nicht sehen können. Das Problematische an solchen Darstellungen ist, dass sie die Zweckorientierung

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