Der Wissenschaftswahn
aus einer virtuellen Zukunft in die Gegenwart zu tun haben. Eine vom Ende oder Attraktor her zeitlich rückwärts wirkende Kausalität stimmt mit Whiteheads zeitlicher Unterscheidung von Geist und Materie überein: Geistige Ursachen wirken »rückwärts« in Richtung Vergangenheit. Geistige Kausalität fließt von einer virtuellen Zukunft mit all ihren Möglichkeiten »rückwärts« und trifft in der Gegenwart auf die aus der Vergangenheit stammende Energie, und daraus gehen beobachtbare physikalische Ereignisse hervor. Der Energieschub aus der Vergangenheit und der von der virtuellen Zukunft ausgehende Zug überlagern sich in der Gegenwart wie etwa im Falle der in einem Becken rollenden Kugel.
Wie können virtuelle Zielpunkte einen zeitlich rückwärts gerichteten Einfluss ausüben? Bleibt dieser kausale Einfluss auf eine virtuelle Welt und deren Möglichkeiten beschränkt, oder wirkt er sich auch auf das tatsächliche Geschehen aus? Können gar künftige Ereignisse auf die ihnen vorausgehenden Ereignisse Einfluss ausüben?
Wir nehmen im Allgemeinen an, dass zeitlich rückläufige Kausalität aus naturwissenschaftlichen Gründen unmöglich ist. Erstaunlicherweise sind jedoch die meisten der mathematisch formulierten Gesetze der Physik umkehrbar; sie beschreiben Wirkungen, die ebenso von der Zukunft in die Vergangenheit wie von der Vergangenheit in die Zukunft verlaufen könnten. James Maxwells 1864 formulierte Gleichungen des Elektromagnetismus lassen zwei Lösungen für die Bewegung von Lichtwellen zu. Bei der einen Lösung bewegen sich die Wellen von der Gegenwart in Richtung Zukunft, und das ist die allgemein akzeptierte Auslegung der Gleichung. Doch in der anderen Lösung bewegt sich das Licht von der Gegenwart in die Vergangenheit, und das widerspricht dem gewohnten Kausalitätsverständnis. Diese zweite Lösung ist mathematisch ebenso einwandfrei wie die erste, wird aber von den Physikern als »unphysikalisch« ignoriert.
Es gibt jedoch auch quantenmechanische Deutungen, die zeitlich rückwärts wirkende physikalische Einflüsse, das heißt von der Zukunft ausgehende Wirkungen, zulassen. Nach Richard Feynmans Auffassung kann man ein Positron, das Antiteilchen eines Elektrons, als ein Elektron verstehen, das sich in der Zeit rückwärts bewegt. In der »transaktionalen« Deutung der Quantenmechanik [263] werden Quantenprozesse als stehende Wellen zwischen sogenannten Emittern und Absorbern gesehen: Vom Emitter zum Absorber laufen Wellen mit der Zeit und in diesem Sinne vorwärts, während sie vom Absorber zum Emitter zeitlich rückwärts laufen. Beispiel: In dem Augenblick, in dem Ihr Auge ein von dieser Seite reflektiertes Photon oder Lichtquantum aufnimmt (absorbiert), sendet (emittiert) es eine Art Antiphoton, das im selben Augenblick, in dem das Photon von der Buchseite ausgeht, diese seinerseits erreicht. So kommt es zu einem »Händedruck« zwischen der Seite und Ihrem Auge: Die Verbindung geht räumlich wie zeitlich in beide Richtungen.
Der Physiker Yakir Aharonov und seine Kollegen schlugen eine weitere Deutung des zeitlichen »Gegenverkehrs« in der Quantenmechanik vor. Aharonov ist als Mitentdecker des Aharonov-Bohm-Effekts bekannt, eines Grundsachverhalts der Quantentheorie, der etwas mit Supraleitfähigkeit und anderen Quanteneffekten zu tun hat. Aharonov und seine Kollegen lassen neben mit der Zeit verlaufenden Quantenprozessen auch zeitlich rückläufige zu: »Zeit-Evolution wird als Korrelation von Vorwärts- und Rückwärtszuständen an der Nahtstelle von Augenblicken gesehen.« Bei dieser Arbeit geht es zwar nur um sehr kurze Zeitabschnitte, doch Aharonov und seine Kollegen machen auf verblüffende Konsequenzen aufmerksam, sollten diese Prinzipien auch für das Universum insgesamt gelten. Der Endzustand des Universums – sollte es einen geben – würde dann rückwärts wirken und die Gegenwart beeinflussen:
Die Quantenmechanik lässt uns die Existenz eines künftigen echten Grenzzustands annehmen – eines mutmaßlichen Endzustands des Universums. Ob man diese Vorstellungen aus philosophischen oder ideologischen Gründen mag oder nicht, die Quantenmechanik jedenfalls bietet die Möglichkeit, sowohl einen Anfangszustand als auch einen eigenständigen Endzustand zu spezifizieren. Worin der Endzustand bestehen mag, falls es ihn denn gibt, wissen wir nicht. [264]
Zeitlich rückläufige Prozesse in der Quantenmechanik, so vermuten Aharonov und seine Kollegen, könnten nur die Spitze eines
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