Der Wolf
einer Salve aus dem Maschinengewehr kaltmacht –, also die Strategen bewahren ein Souvenir auf«, hatte der Polizist ihm in besserwisserischem, selbstgefälligem Ton anvertraut. Als ob er den Durchblick hätte, dachte der Wolf im Stillen. Der Cop war sehr hilfsbereit gewesen und hatte alle seine Fragen beantwortet, auch wenn er manchmal wie ein Lehrer klang, der einer zappeligen Grundschulklasse etwas erklärte.
Dennoch gab es dem Wolf das Gefühl, seine Privatsphäre zu schützen, wenn er seinen Computer herunterfuhr. Er schaltete die Maschine aus und gleichzeitig seine Phantasie ein, da ihm jede Rote für den Rest des stumpfsinnigen Abends, der ihn erwartete, in seinem Kopf verführerisch nahe bleiben würde. Er hatte nicht das Geringste gegen die biedere Fassade einzuwenden. Im Gegenteil – er sollte ein Kapitel über die Notwendigkeit schreiben, den Schein des Alltäglichen, Banalen, Unspektakulären zu wahren, um das Außergewöhnliche zu verbergen.
Der Klempner achte darauf, stets sein Werkzeug bei sich zu tragen. Der Handelsvertreter denke daran, sein aalglattes, joviales Gehabe an den Tag zu legen. Und der Schriftsteller vergesse nicht, Fragen zu stellen, als suche er nach Ideen für sein Werk.
»Ich komme!«, rief er wie jeden Abend und in genau jenem Ton, den sie erwartete. »Bin gleich so weit!«
Hackbraten, dachte er. Das wär jetzt was. Mit Soße und Kartoffelbrei.
Und dann, falls seine Frau nicht zu müde war, nach dem Tischabdecken und dem Abwasch, ein Film. Sie gingen nur noch selten ins Kino und machten es sich lieber vor dem Breitbildfernseher gemütlich. Der Wolf vergaß nie, dass Mrs. Böser Wolf hart arbeitete und dass ihre feste Stelle für ihrer beider Leben von zentraler Bedeutung war – sie kam für die Hypothek auf und hielt dem Wolf den Rücken frei –, und angesichts ihrer Herzprobleme in der Vergangenheit wollte er jeden Stress vermeiden, auch wenn ihr gerade erst eine gute Gesundheit bescheinigt worden war. Er belohnte sie mit Loyalität und einem angenehmen, friedlichen Privatleben.
Das war das mindeste, was er tun konnte. Gelegentlich, wenn er das Gefühl hatte, dass sie Abwechslung brauchte, überraschte er sie mit einem Besuch in einem netten Restaurant oder Karten in der ersten Reihe für eine
Macbeth
-Aufführung der örtlichen Schauspieltruppe. Diese Ausflüge entschädigten sie für die unvermeidliche Enttäuschung, die er ihr von den Augen ablesen konnte, wenn er von Zeit zu Zeit ankündigte, er müsse »zu Recherchen« allein irgendwohin.
Er nahm sich vor, an diesem Abend das TV -Wunschprogramm durchzusehen und etwas Lustiges, Romantisches, nicht allzu Modernes auszusuchen. Was neuerdings an Filmen produziert wurde, bei denen Situationskomik durch widerliche Geschmacklosigkeiten ersetzt wurde, gefiel ihm nicht. Er zog die Klassiker vor. Von den Marx Brothers über Jack Lemmon und Walter Matthau bis zu Steve Martin und Elaine May. Er kannte Judd Apatow und seine ordinäre Masche, konnte aber beim besten Willen nicht nachvollziehen, was die jungen Leute an derartiger Comedy fanden. Er und seine Frau würden sich auf einen der Sender einigen, die alte Filme brachten, bevor er es sich in seinem Liegesessel bequem machte und sie auf dem Zweiersofa daneben. Unmittelbar, bevor der Film losginge, würde sie ihnen beiden eine Schale Vanilleeis mit Schokostreuseln servieren. Sie würden miteinander lachen und dann nach oben gehen.
Ins Bett.
Wahrscheinlich liebte er seine Frau tatsächlich. Er genoss es immer noch, von Zeit zu Zeit mit ihr zu schlafen – auch wenn er sich in den letzten Monaten vorgestellt hatte, eine der drei Roten unter sich zu haben, wenn er auf seiner Frau lag. Er glaubte nicht, dass sie diese Geistesabwesenheit je bemerkt hatte – falls es das überhaupt war. Vielleicht, überlegte er, bin ich dadurch leidenschaftlicher. Zugleich war er sich bewusst, dass sie, seit sie krank geworden war und eine Reihe Ärzte in ihr Leben getreten waren, seltener Geschlechtsverkehr miteinander hatten. Es belief sich auf ein, zwei Mal im Monat, wenn’s hochkam.
Dabei war seine Libido ungebrochen, und er war durchaus stolz darauf, dass er, obwohl er in die Jahre kam, nicht auf die kleine blaue Pille angewiesen war. Doch nie war es dem Wolf in den Sinn gekommen, außerhalb seiner Ehe nach Sex zu suchen.
Natürlich ging er fremd. Aber nur in seiner Phantasie.
Der Wolf blickte auf den Bildschirm und die Seite mit der neuen Kapitelüberschrift. Im Flüsterton las
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