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Der Wolf

Der Wolf

Titel: Der Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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er sie vor: »Warum ich jede Rote liebe.«
    Und beantwortete die Frage ebenso leise.
    »Für das, was sie mir geben.«
    Wahre Leidenschaft, dachte er. Diese Intensität musste er auf den Seiten seines Buchs einfangen.
    Vermutlich hatte die Art und Weise, wie er ihnen heimlich folgte und ihren Tod plante, etwas von einer Affäre. Doch es kam ihm nicht so vor, als betröge er seine Frau.
    Sicher, sie waren wie Geliebte, die geduldig auf ihn warteten. Doch jede auf ihre Weise waren sie auch wie treue Ehefrauen.

[home]
    17
    K aren fuhr zum größten örtlichen Einkaufszentrum, wo sie Jordan am Ostausgang neben Sears absetzte, bevor sie eine Weile herumfuhr und Sarah am Westeingang unweit Best Buy rausließ. Nachdem sie ein paar Minuten gewartet hatte, steuerte Karen die oberste Ebene der Parkgarage neben der Mall an. Sie wendete, um zu sehen, ob ihr ein Wagen bis zum leeren obersten Stockwerk folgte. Sie schaltete den Motor und die Scheinwerfer aus, dann wartete sie siebzehn Minuten. Der Vorteil dieses Parkhauses bestand darin, dass es über getrennte Rampen nach oben und nach unten verfügte. Als auf die Sekunde genau siebzehn Minuten vergangen waren, ließ sie den Motor aufheulen und raste mit quietschenden Reifen die kreisförmige Rampe hinunter. Auf den leeren Parkflächen Richtung Nordausgang des Einkaufszentrums gab sie Gas. »Dann folge mir mal«, murmelte sie leise. Ist mir scheißegal, für wie clever du dich hältst, Mister Wolf.
    An diesem Abend war in der Mall nicht viel los. Jede Menge Parklücken. Karen suchte nach irgendeinem Anzeichen dafür, dass der Wolf in der Nähe war.
    Wie schon beim ersten Treffen mit Rote Drei sagte ihr der Instinkt, dass es wichtig war, jede Möglichkeit der Verfolgung zu vereiteln, auch wenn sie nicht genau sagen konnte, wieso. Einerseits kam sie sich dabei vollkommen lächerlich vor. Auf ihrer täglichen Heimfahrt von der Arbeit hatte sie sich Manöver angewöhnt, die einen Verfolger abschütteln mussten. Auch als sie Rote Drei abholte, war sie wie eine Irre gefahren. Jetzt hielt sie sich an dasselbe unberechenbare Muster – und war sich ziemlich sicher, dass die anderen beiden Roten dasselbe taten –, ohne dass sie die entscheidende Frage beantworten konnte: Wieso tust du das? Wenn wir drei uns in irgendein Café setzen, wird er kaum hereinstürmen und uns alle auf einmal mit dem Maschinengewehr abknallen.
    Plötzlich erschien ihr dieses Szenario nicht mehr ganz so unmöglich, und sie schnappte nach Luft, als sei im Wagen mit einem Schlag kein Sauerstoff mehr.
    Du hast keine Ahnung, wie er dich töten wird.
    Die Ärztin in ihr diagnostizierte die Paranoia. Sie versuchte, sich an die kurze Zeit zu erinnern, die sie als Medizinstudentin in der Psychiatrie eines großen staatlichen Krankenhauses gearbeitet hatte, doch was sie in jenen Wochen gelernt hatte, war im Lauf der Jahre als Internistin verlorengegangen.
Mein – nein, unser – ganzes Verhalten ist von Angst geprägt.
    Sie kniff die Augen zu.
    Versuche, es wenigstens beim Namen zu nennen, befahl sie sich. Unmöglich. Sie tastete sich heran: Höhenangst. Das war Akrophobie. Spinnenangst? Arachnophobie. Todesangst? Thanatophobie.
    Was sie empfand, fühlte sich wie eine Kombination dieser Varianten und jeder anderen Form von Angst an, die sie kannte.
    Gib ihr einen Namen, wiederholte sie streng.
    Leichter gesagt als getan.
    Karen versuchte, verschiedene Todesvisionen, die sich plötzlich vor die Augen schoben, zu verbannen und stattdessen nach den anderen beiden Roten Ausschau zu halten. Schusswaffen, Messer, Gift, Blut, Ersticken: Sie sah Dutzende Varianten, einen Menschen zu ermorden, wie auf einem Buffet vor sich ausgebreitet, und in diesem Alptraum war sie gezwungen, sich eine davon auszusuchen. Das Problem war, dass es ihr kaum gelang, aus diesem Alptraum zu erwachen. Sie wischte sich mit der Hand übers Gesicht. Sie spürte den Schweiß in den Achseln. Ihr Atem ging kurz und stockend. Sie sah sich um. Es gab keinen augenfälligen Grund, in Panik zu sein. Nirgends lauerte eine Gestalt im Schatten und starrte zu ihr herüber. Ebenso wenig stürzte ein Mann auf sie zu und schwang eine Waffe. Keine Autoscheinwerfer bohrten sich in ihr Heck.
    Dennoch war das alles Realität, auch wenn es nicht in diesem Augenblick passierte.
    Sie suchte den Platz vor dem Einkaufszentrum ab.
    »Macht schon«, flüsterte sie. »Nichts wie weg hier.«
    Binnen weniger Sekunden nach Karens Ankunft kamen Rote Zwei und Rote Drei durch die

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