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Der Wolf

Der Wolf

Titel: Der Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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breiten Eingangstüren der Mall und näherten sich zügig ihrem Wagen. Jede von ihnen war willkürlich zwischen den Geschäften herumgelaufen, in den Gängen auf und ab geeilt, hatte sich in einer Toilette versteckt, um anschließend denselben Weg zurückzugehen, war in den Aufzügen hinauf- und hinuntergefahren, hatte den Weg der anderen zwei Mal gekreuzt, bis sie schließlich gemeinsam das Einkaufszentrum verlassen hatten. Trotz der spärlichen Besucherzahlen in dem riesigen Gebäude wäre es schwergefallen, ihnen zu folgen.
    »Meint ihr, das reicht?«, fragte Sarah keuchend, während sie hastig einstieg.
    »Klar«, erwiderte Jordan zuversichtlich vom Rücksitz aus. »Wieso nicht? Er kann nicht an drei Orten gleichzeitig sein.«
    Die anderen beiden nickten stumm, auch wenn Rote Eins und Rote Zwei im Stillen dachten: Da wäre ich mir nicht so sicher.
    Karen sah, wie ein zartes Grinsen um Jordans Mundwinkel spielte, und die Ärztin in ihr fragte sich, ob der Teenager die Situation genoss. Dann sah sie, wie sich Rote Drei auf ihrem Sitz umdrehte und zum Heckfenster hinaussah, um sich noch einmal zu vergewissern, dass ihnen niemand folgte. Nervöse Energie, dachte sie. Nein, es ist die Angst. Nur dass sie sich bei jeder von uns ein wenig anders äußert.
    Rote Zwei stellte die nächste Frage. »Und wo geht’s jetzt hin?«
    Mit einem trockenen Lächeln antwortete Karen: »Gestern hat Jordan mich gebeten, mir Treffpunkte einfallen zu lassen, wo wir verdammt noch mal sicher sind. Ich weiß einen richtig guten.«
     
    The Moan and Dove
war eine altmodische, schummrige Bar mit dunklem Holz, die diverse Single-Malt-Whiskys und über siebzig Sorten Bier führte. Die Drinks wurden an einer langen, auf Hochglanz polierten Theke serviert, die bis zu einer kleinen Bühne mit einem zerschlissenen schwarzen Vorhang im Hintergrund reichte. Darüber hinaus gab es Platz für etwa zwei Dutzend kleine Tische. An den meisten Abenden drängten sich hier Studenten der Universität, es war laut und ein wenig zu ausgelassen. Dienstags traten Folksänger aus der Umgebung auf – Möchtegern-Joni-Mitchells und -Bob-Dylans –, und samstags standen gelegentlich Laien-Comedyshows auf dem Programm. So hatte Karen die Bar kennengelernt. Doch donnerstags, wie an diesem Abend, hatte sie nur für lesbische Frauen geöffnet, denen eine »Ladies Only«-Nacht gewidmet wurde. So traten die drei Roten in eine laute, voll besetzte Bar – weit und breit kein einziger Mann. Selbst die Barkeeper – normalerweise Kerle, die Gewichte stemmten, um mit den Flegeln vom College fertig zu werden – wurden an diesem Tag von dünnen, jungen Punk-Rock-Frauen mit Nasenpiercings vertreten, die Lisbeth Salander nachzueifern schienen. Die Gäste an der Bar reichten von taffen Motorradbräuten in engen, schwarzen Jeans zur Lederjacke, die einen Kurzen kippten, bis zu verspäteten Hippie-Blumenkindern, die süße Cocktails mit bunten Papierschirmchen schlürften und in ihren Unterhaltungen ihrem Enthusiasmus in höchsten Tönen Ausdruck verliehen.
    Rote Zwei und Rote Drei traten neben Karen und ließen vom Eingang aus die Szene auf sich wirken. Karen grinste: »Wär gerne ein Mäuschen, wenn der Wolf hier reinspaziert. Der wäre schneller wieder draußen, als er sich umschauen kann.«
    Sarah lachte laut; die Absurdität dieser Vorstellung schien ihrer ganzen Lebenssituation zu entsprechen. Zu schön, dachte sie. Der Wolf stolpert mitten in eine Lesbenbar, ich brauche nur mit dem Finger auf ihn zu zeigen und zu sagen: »Da ist ein Mann, der Frauen umbringt!«, die Racheweiber reißen ihn augenblicklich in Stücke, und wir können mit dem, was von unserem Leben noch übrig ist, unbehelligt weitermachen.
    Jordan wirkte ein wenig nervös. »Ich bin noch nicht volljährig«, flüsterte sie Karen zu. »Falls meine Schule davon Wind bekommt, dass ich hier bin, flieg ich raus.«
    »Dann sorgen wir eben dafür, dass sie keinen Wind davon bekommt«, erwiderte Karen, auch wenn der selbstbewusste Ton die Tatsache überspielte, dass sie keine Ahnung hatte, wie sie ihr Versprechen halten sollte.
    Jordan nickte. Sie sah sich grinsend um. »Wisst ihr, die Hockeytrainerin könnte hier irgendwo sein …« Doch dann zuckte sie die Achseln und sagte: »Vielleicht setzen wir uns einfach in eine lauschige Ecke.«
    Sie fanden einen freien Tisch in der Nähe der Bühne, der zusätzlich den Vorteil bot, dass sie von dort aus den Eingang im Auge hatten, auch wenn keine der drei Roten

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