Der Wolf aus den Highlands
nicht weiter, wenn ich sie verfolgen muss. Ich weiß nicht, warum, aber ich glaube, dass Annora es ausgezeichnet versteht, sich zu verstecken.«
»Möglich. Ich vermute, das arme Mädchen hatte viel zu viele Gelegenheiten, das zu lernen. Aye, vor allem das Kunststück, unsichtbar zu werden.«
James nickte langsam. »Ich fürchte, du hast recht. Sie macht sich zu viele Gedanken um ihre uneheliche Geburt und lässt sich von selbstgerechten oder grausamen Menschen wehtun. Viele ihrer elenden Verwandten hatten kaum je ein gutes Wort für sie. MacKay hat sie ab und zu so heftig geschlagen, dass sogar dieser Mistkerl Egan dazwischengegangen ist und ihn aufgehalten hat. Eine Verwandte hat sie in ihrer Kindheit zur Strafe stundenlang in kleine, dunkle Räume gesperrt.« Unwillkürlich musste er an Annoras ausgeprägte Angst vor der Dunkelheit denken. »Wenn du sie ins Verlies stecken musst, um sie am Weglaufen zu hindern, lass die Fackeln brennen und lass Meggie sie besuchen, wann immer sie möchte. Und gib ihr auch ihren Kater Mungo mit.«
Tormand verschränkte die Arme vor der Brust.
»Lieber würde ich einen Priester belügen als Annora ins Verlies sperren.«
»Du hast schon einmal einen Priester belogen«, entgegnete James geistesabwesend. Hauptsächlich war er noch immer mit dem Gedanken beschäftigt, wie man Annora auf Dunncraig festhalten konnte, wenn sie versuchte wegzugehen, bevor er in der Lage war, sie zum Bleiben zu bewegen. »Unseren Cousin Matthew, wenn ich mich recht entsinne.«
»Er ist kein Priester; er ist ein Mönch. Und ich habe ihn angeschwindelt, bevor er in seinen Orden eingetreten ist. Außerdem habe ich es getan, um seine Gefühle zu schonen. Er wusste nicht, dass das Mädchen, dem er so zugetan war, versucht hatte, mit jedem Murray ins Bett zu steigen, der nicht mehr als einen Tagesmarsch von ihrem Cottage entfernt lebte.«
»Sorg einfach dafür, dass Annora hierbleibt. Lass sie nicht aus den Augen, dann wirst du schon merken, wenn sie weglaufen will. Das Mädchen kann ihre Gefühle nicht besonders gut vor Menschen verbergen, von denen sie glaubt, dass ihr keine Gefahr droht und sie ihnen vertrauen kann. Inzwischen weiß sie bestimmt, dass sie dir vertrauen kann.«
»Menschen, die daran denken, sie in ein Verlies zu sperren?« Tormand ignorierte James’ zornigen Blick. »Warum rufst du sie nicht einfach und redest mit ihr?«
»Das törichte Ding glaubt, sie sei nicht gut genug für mich. Deshalb muss ich wahrscheinlich ein wenig Überzeugungsarbeit leisten, bis sie glaubt, dass mir ihre Herkunft und das Fehlen einer Mitgift egal sind.«
»Aha, verstehe. Na ja, streng dich dabei nur nicht so an, dass du danach wieder das Bett hüten musst. Ich will Annora allerdings nicht allzu augenfällig verfolgen, sonst denken die Leute noch, dass ich ihr nachsteige.«
James schüttelte noch immer den Kopf über diese Bemerkung, als Tormand längst gegangen war. Schließlich sank er wieder in seine Kissen und zuckte zusammen bei dem Schmerz, der sich in seiner Wunde in seiner Seite regte. Obwohl er es satthatte, so schwach zu sein, dass er tagelang das Bett hüten musste, wusste er doch, dass er Ruhe brauchte. Doch gerade, als er die Augen schließen wollte, ging die Tür auf. Im ersten Augenblick war er tief enttäuscht, als er Meggie auf der Türschwelle stehen sah und nicht Annora, doch dann schenkte er dem Kind sogleich ein herzliches Begrüßungslächeln.
Sein Lächeln wurde breiter, als Meggie zu ihm aufs Bett hüpfte und ihn fröhlich angrinste.
»Wie geht es dir heute, Papa?«
Zu hören, wie Meggie ihn Papa nannte, war einer der süßesten Klänge, die er je vernommen hatte. Manchmal wunderte er sich, wie schnell sie ihn als ihren Vater angenommen hatte. Es war, als ob sich trotz der vielen Jahre, die sie getrennt gewesen waren, etwas in ihr noch an ihn erinnerte.
»Es geht mir mit jedem Tag besser«, erwiderte er. »Die Wunden haben sich geschlossen. Ich muss nur noch die Kraft zurückerlangen, die ich bei dieser Bettruhe verloren habe.«
»Damit du Annora nachlaufen kannst?«
Er lachte. »Aye, ganz genau. Wir können doch nicht zulassen, dass sie Dunncraig verlässt, oder?«
»Nay, das können wir nicht. Aber sie denkt daran, weißt du. Sie wirft immer wieder diesen Abschiedsblick auf mich.«
»Einen Abschiedsblick? Wie sieht der denn aus?«
»Sie sieht mich an und lächelt, aber in ihren Augen steht kein Lächeln. Sie sieht mich an, als ob sie mein Bild in ihr Gedächtnis
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