Der Wolf
an die Gesetze und die kleine Gründerpopulation konnte sich ausdehnen. Heute zählt man
in Schweden ungefähr hundert Wölfe.
In Norwegen, auf der anderen Seite der Grenze, verlief
die Entwicklung anders ; der Wolf traf hier auf eine landestypische Besonderheit : die Schafzucht der norwegischen
Waldbauern. Traditionell stützt sich deren Existenz auf
die Forstarbeit sowie die Schafzucht im Wald, wobei die
Schafe frei in den Wald gelassen werden, um dort zu grasen. Diese Schafe sind natürlich eine leichte Beute für die
Wölfe und so kam es bald zu ersten Schäden mit entsprechend wütenden Reaktionen der Bauern. Der Protestdruck
war so stark, dass die Regierung in Oslo ihm nicht standhalten konnte, obwohl auch Norwegen die Berner Konvention ratifiziert hat.
Der Lobbydruck der Landwirte ist im Land der Mitternachtssonne nicht von ungefähr so machtvoll ; die Bauern
in Norwegen verdanken ihre sehr starke Stellung in der
Öffentlichkeit und in der veröffentlichten Meinung einer
Art hochoffiziellen Landes-Doktrin: Es ist das erklärte Ziel
der Politik, die offene Landschaft Norwegens zu erhalten
und nicht von Wald zuwachsen zu lassen. Schweden mit
seiner Landflucht und der Totalverwaldung ganzer Landesteile gilt in Norwegen als warnendes Beispiel. Man will dem
gegenüber den norwegischen Landeskindern auf dem Land
die Existenzgrundlagen erhalten. Das ist aber nur möglich, indem man die Landwirtschaft in der ganzen Weite
des Riesenlandes fördert.
Der Druck der Schafbauern wurde so groß, dass man
sich dazu entschloss, die norwegischen Wölfe möglichst
alle abzuschießen. (Wohl wissend, dass Wölfe sich natürlich nicht um Grenzen scheren, das heißt, norwegische zum
Teil auch schwedische Wölfe sind.) Obwohl die internationalen Proteste stark waren, gelang die Liquidation recht
schnell aus der Luft von Hubschraubern aus. Erneut von
Schweden her nachdrängende Rudel überleben meist nicht
lange ; ehe die Rotorblätter dröhnen und die Gewehre knallen, lässt die Lokalpresse gern ein kleines Auftakt-Trommelfeuer hören.
Wie immer man diese Geschichten auch bewertet, die
Ereignisse und Reaktionen zeigen, dass traditionelle Schafzuchtgebiete – weder im Wald noch in den Bergen – als Zielgebiete für die neue Wolfseinwanderung geeignet sind.
Die Konflikte sehen in anderen möglichen und existierenden Wolfsheimaten nicht prinzipiell anders aus. (Von
der größeren Grund-Toleranz in Süd- und Osteuropa war
schon die Rede.) So kommt es auch in Teilen der Alpen zu
erheblichen Konflikten. Aus Italien dringen Wölfe in die
Seealpen nach Frankreich in den Le Mercantour-Nationalpark vor. Auf einmal sehen sich die Schäfer gezwungen, Tag
und Nacht bei ihren Schafen zu bleiben, um sie vor Wölfen
zu schützen, so wie es von alters her üblich war. Mit dem
Verschwinden der Wölfe hatten die Schäfer natürlich die
intensive Betreuung ihrer Herden aufgegeben. Kein Wunder also, dass sie sich gegen die plötzlich notwendige Mehrarbeit wehren. Ganz ähnlich laufen die Konfliktlinien im
Schweizer Wallis. Auch dorthin sind inzwischen Wölfe
vorgedrungen, und der Protest ist vehement.
In der Tat stellt sich die Frage, ob man von Seiten des
Naturschutzes wirklich darauf bestehen sollte, Wölfe in all
diesen Konfliktgebieten voll zu schützen. Ich meine, man
kann auf Dauer die Menschen mit ihren Bedürfnissen nicht
ignorieren, man kann die Zeit nicht zurückdrehen.
Eine kleine gedankliche »geschmäcklerische« Abschweifung drängt sich gleichwohl auf: Es gibt einen Zusammenhang von traditioneller Käseproduktion und Wolf. Die traditionelle Schafshaltung basierte überall im Gebirge darauf,
dass der Schäfer zusammen mit Hunden seine Herden gegen
Wölfe schützte. Deshalb blieb er Tag und Nacht bei seinen
Schafen und hatte die Zeit, sie zu melken. Als die Wölfe
aus seinem Gebiet verschwanden, musste der Schäfer nicht
mehr unablässig bei seinen Tieren sein; er konnte sie einfach in den Wald oder bergan treiben und hielt (und hält)
deshalb nur noch Fleischschafe. Eine spür-, weil schmeckbare Konsequenz: Es wird viel weniger Schafsmilch produziert, das heißt : weniger Rohstoff für guten Käse. Man
vergleiche nur einmal einen englischen Cheddar mit einem
Peccorino aus den Abruzzen ! Der Wolf als Garant kulinarischer Genüsse ? Wer hätte das geglaubt!
Nicht in allen (neuen) Wolfs-Zielgebieten Deutschlands
waren die Reaktionen negativ. Mit besonderer Freude erinnere ich mich an meinen Besuch in der Ostlausitz und
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