Der Wolf
In Richtung Osten
befinden sich über die Böhmisch-Mährische Höhe mit den
Beskiden, der Tatra und den Karpaten ebenfalls potenzielle
oder aktuelle »Wolfslandschaften«. In nördlicher Richtung
zieht sich das Waldgebirge über die Oberpfalz und das Fichtelgebirge und weiter in östlicher Richtung über das Erzgebirge und Riesengebirge ebenfalls bis in die Beskiden, die
Tatra und die Karpaten.
▶ Für die genannten Gebiete gilt: geringe, oder sogar sehr
geringen Bevölkerungsdichten – zumindest in den Hochlagen.
▶ Straßen – zumindest große Verkehrsadern – zerschneiden die Gebiete bei weitem nicht so stark wie in den meisten Gegenden Europas.
▶ Rückzugsgebiete sind in den Hochlagen vorhanden; dafür
sorgen auch Wegegebote und Betretungsverbote in den
Nationalparks.
▶ Es gibt (wieder) relativ viele natürliche Beutetiere. Im
Nationalpark Bayerischer Wald wird das Angebot durch
die Wintergatter allerdings zeitweilig eingeschränkt. Ähnliche Pläne zum Management der Hirschbestände gibt es
auch auf der böhmischen Seite.
Konflikte mit Schäfern wird es im tschechisch/bayerischen
Grenzgebiet kaum geben, freier Weidebetrieb im Wald
kommt hier nicht mehr vor. Und auch die Rinder, die auf
böhmischer Seite in den Hochlagen sommers eingezäunt
weiden, sind kaum gefährdet.
Eher schon könnte es mit Tierhaltern in den besiedelten Gebieten am Rande der Nationalparks zu Konflikten
kommen. Wer sagt einem Wolf, dass ein nächtens durch
den Wald stromernder Hund tabu ist ? Und wird nicht eine
Jägerschaft, die der Wiederkehr des Wolfes bestenfalls mit
gemischten Gefühlen gegenübersteht, eilfertig zum Gewehr
greifen, falls gar irgendwo ein Fohlen auf einer entlegenen
Waldweide gerissen werden sollte ?
Wie auch immer – konfliktfrei wird es nicht zugehen.
Aber man kann Konflikten im Vorfeld den Zutritt erschweren. Hier eine knappe Aufzählung von Maßnahmen, die
für Wolf, Mensch und Nutztier sinnvoll erscheinen :
▶ Die Ausweitung und die strikte Einhaltung der Wegegebote in den Hochlagen. Wölfe können durchaus lernen,
dass Menschen nur auf bestimmten Wegen anzutreffen
sind und sie entsprechend weiträumig meiden.
▶ Langfristig sollten Wintergatter völlig oder zumindest
partiell aufgelöst werden. Der Wolf ist bestens qualifiziert,
die zu großen Rotwild-Stückzahlen zu verringern; außerdem wäre ein Wolf, dem es gelänge in ein prall mit Beute
gefülltes Wintergatter einzudringen, mit Sicherheit wieder
ein erheblicher Brennpunkt.
▶ Die immer wieder aufflammenden Diskussionen mit
der Jägerschaft müssen versachlicht werden, mit dem Ziel,
die Waidmänner für Wolf- und auch für Luchsschutz zu
gewinnen.
▶ Falls überhaupt noch nötig : Eine sachliche Aufklärung
der Bevölkerung, die erfreulicherweise – das muss deutlich gesagt werden – lange nicht in dem Maße an einem
»Rotkäppchen-Komplex« leidet, wie das immer noch vereinzelt zu lesen ist.
▶ Ansonsten aber empfiehlt es sich, möglichst wenig WolfsTamtam in der Presse zu verursachen. Wölfe sollten sich
still und selbstverständlich einschleichen.
Das ist nicht so einfach. Ein Wolf hat immer noch hohen
Nachrichtenwert ; er scheint mir auch die Idealgröße zu
haben, um tage- oder sogar wochenweise das Presse-Sommerloch ausfüllen zu können.
Was zählt : Territorial- oder Elterngefühl?
Eigentlich hatte ich mich schon daran gewöhnt, dass Journalisten gern zur ganz großen Metaphernkeule greifen,
wenn sie über Wölfe schreiben. Aber die markerschütternd
herausgeheulte Wolfs-Prosa, die mir Ende der Neunziger
aus Deutschlands Jäger-Leitpostille »Wild und Hund« entgegendröhnte, war dann doch noch für eine Überraschung
gut : »Stiebender Schnee, verknäulte, graue Körper – eine
Wölfin kämpft ihren letzten Kampf. Artgenossen bringen
sie um, Artgenossen eines fremden Rudels, in dessen Territorium sie eingedrungen war. (…) Nicht nur Menschen
führen Kriege um Land und Ressourcen.« Was, um Gottes Willen, war geschehen – im berühmten Wolfsgatter des
Bayerischen Waldes ?
Man hatte schlichtweg die neuere Wolfsforschung nicht
zur Kenntnis genommen, die besagt, dass die innerartliche
Tötungshemmung bei Wölfen nicht wirkt, wenn es für sie
gilt, ein Territorium zu verteidigen. Man wollte zum bestehenden Rudel ein zweites im Gehege ansiedeln, und das aus
durchaus nachvollziehbaren Gründen. Im alten Rudel lebten
seit über fünf Jahren Rüden mit einer Wölfin zusammen, die
keine Welpen bekam. Um Abhilfe zu
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