Der Wolf
die
herrschende Doktrin mit ihrem klar definierten, angeblich gottgewollten Oben und Unten ein wenig zu drapieren, zu umkleiden, zu verschleiern. Das Jagdprivileg bot die
Grundlage. Wo nur der Adelige bestimmte Tiere jagen darf,
obliegt ihm natürlich die vornehme Pflicht, allen Schaden
von Untertanen abzuwenden – und nichts lag näher als
Drohungen, die aus dem dunklen Wald kamen. Gottesgnadentum, dem der Jagdherr seine Herrschaft verdankt, verlieh auch das Beschützeramt. Eine Legitimation mehr für
den starken, bewaffneten Arm der Obrigkeit.
Die Idee mag aus unserer heutigen Sicht noch so schlichthirnig erscheinen, sie verfing sich : Der Jäger (der im Laufe
der Zeit natürlich nicht adelig blieb) als Beschützer ! Denken wir nur an unsre Volksmärchen, beispielsweise an den
guten Jägersmann, der das unschuldige Rotkäppchen rettet
oder die Sieben Geißlein aus dem Wolfsmagen befreit.
Mit dem Wolf, vorgeschoben als Sündenbock, ließ sich
gut von den wirklichen Problemen ablenken. Heftig propagierte (Schein-)Bedrohungen sollten und konnten die Aufmerksamkeit der von wirklich existenziellen Problemen
betroffenen Bevölkerung ablenken. Dieser politische Trick
hat leider weltgeschichtlich Karriere gemacht ; am schrecklichsten in der Zeit des Nationalsozialismus.
Hexenwahn, Judenhass, Zigeunerverfolgung – und auch
der Wolf wurde Objekt der Verteufelung, wurde zum Prügelknaben, dem man Böses anlastete. Die Frühe Neuzeit
(Historiker lassen sie meist mit der Entdeckung Amerikas
1492 beginnen) war die Zeit, in der man darauf aus war,
alles Andersartige, Emanzipatorische und Aufgeklärte in
den Verdacht zu bringen, mit dem Teufel im Bunde zu stehen. Angstmachen galt dem Machterhalt. Denn wer Angst
hat, muckt nicht so leicht auf. So wurden unzählige Frauen –
sehr gern solche, die sich nicht völlig angepasst zeigten – als
Hexen auf den Scheiterhaufen verbrannt und Männer, die
sich der Obrigkeit nicht fügen wollten, als Werwölfe gefoltert und ebenfalls verbrannt. All diese Taten von Obrigkeit
und Inquisition sollten den Herrschaftsanspruch von Kirche und Adel sichern ; aber erwünscht war sicherlich auch
der Seiteneffekt : Ablenkung von den grotesken Ungerechtigkeiten jener Zeit; ein Ventil für Unmut, das gegebenenfalls nur ein paar Klafter Brennholz kostete, oder auch ein
paar Kreuzer Treiberlohn für eine Wolfshatz.
Verteufelung egal ob von Wölfen oder Frauen als »Bauernopfer« ? Die erstaunlich unbekannte Tatsache, dass nicht
etwa im »finsteren« Hochmittelalter, sondern in vergleichsweise moderner Zeit, besonders im 16. Jahrhundert, Hexen
verbrannt wurden und zugleich der große Aderlass bei den
Wölfen erst jetzt so richtig begann, wirft für mich die Frage
auf : Ist es nicht der gleiche Wirkmechanismus, der Hass
auf Frauen und Hass auf Wölfe ins Grausige und Brutale
hochpeitschte ?
Beide, Wolf und Frau, stellen für den Mann eine Unberechenbarkeit, eine Gefahr dar, die es zu bändigen gilt. Frauen
bestimmen letztendlich über das Leben, über die Reproduktion, und die ist für den Mann nicht immer kontrollierbar. Seine Angst, dass er unwissentlich die Kinder seines Nebenbuhlers aufzieht, dass er seine Kraft (als Ernährer
der Sippe) in fremde Gene investiert, sitzt tief. Die Tatsache, dass die Frau im Endeffekt die Mächtigere, die Hüterin
und Vermehrerin des Lebens, ist, könnte viele schlimme
Formen geschlechtsspezifischer Unterdrückung durch den
Mann erklären. Herrschaft durch Kontrolle lautet die männliche Vorbeuge- und Abwehrstrategie.
In vergleichbarer Weise hat auch die Unberechenbarkeit
des Wolfes, vor allem seine heimliche, effiziente Jagdweise,
den Mann provoziert und bei ihm Ängste ausgelöst. Der
Wolf eignet sich in gewisser Weise als Lieblingsfeind: Er
bedroht Lebensgrundlagen, deren Sicherung Mannespflicht
ist ; sein Schreckbild eignet sich aber auch vorzüglich, um
Frauen einzuschüchtern. Eine verängstigte Frau bleibt brav
an Heim und Herd.
Der Wolf – nicht überall eine Zielscheibe
Der Kontrolltrieb des Menschen zeigt sich nicht überall in
gleicher Ausprägung; das wird deutlich, wenn wir unseren Blick auf das Natur-Mensch-Verhältnis im Allgemeinen richten. Es gibt in Europa ein interessantes Nord-Südund ein West-Ostgefälle, das sich zum Teil auch in der Einstellung zum Wolf manifestiert. So fällt auf, dass der Wolf
vor allem in den großen Lebensräumen in Osteuropa wie
Erik Zimen füttert ein Gallowaykalb auf Grillenöd
Blick zum Stall, mit Hündin
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