Der Wolf
Tatsächlich
spielten sie zuerst miteinander. Dann aber rannte plötzlich
das Lamm davon, und der junge Wolf setzte hinterher. Nach
einem gezielten Biß in die Kehle war alles vorbei.
Eine betrübliche Geschichte. Doch schon im Alten Testament galten folgende Sätze des Propheten Jesaja von einem
zukünftigen Reich ewigen Friedens nur als Vision: »Der
Wolf ist bei dem Lamm zu Gast, der Panther lagert bei
dem Böcklein, und Kalb und Löwe fressen miteinander ;
ein kleiner Knabe treibt sie aus.«
Man mag diese Prophezeiung als Hoffnung oder als Illusion
betrachten – sicher ist, daß auch heute noch, nicht anders als
in früheren Zeiten, der Wolf in unserer Vorstellung zugleich
Angst und Schrecken wie Faszination und Bewunderung
auslöst. Hierbei existieren bei uns nun mehrere Wolfsbilder nebeneinander : ein atavistisches, ein heroisches und
ein romantisches. Hinsichtlich der Verfolgung des Wolfes
jedoch hat bislang nur eine Vorstellung Einfluß gehabt: die
vom feindlichen Konkurrenten. Die blutige Geschichte des
Wolfes ist noch nicht zu Ende geschrieben.
Die Ausrottungsgeschichte
Der Beginn des tausendjährigen Krieges gegen den Wolf
in Europa geht auf das Jahr 813 zurück, als Kaiser Karl
der Große seine Grafen verpflichtete, je zwei Beamte zu
ernennen, die ausschließlich für die Wolfsjagd zuständig
waren. Diese »Luparii« genossen viele Privilegien, mußten
aber dem Kaiser persönlich Rechenschaft über ihre Arbeit
geben. Dafür wurden sie vom Waffendienst befreit, hatten überall das Recht auf kostenlose Übernachtung und
Bewirtung, und es standen ihnen ein bestimmtes Maß an
Getreide sowie andere Abgaben zu. Sie waren die ersten
Kopfjäger dieser Geschichte.
Viele weitere sollten im Laufe der Jahrhunderte folgen.
Jedes Land hatte seine eigenen, zumeist hauptamtlichen
Wolfsjäger. Besondere Berühmtheit erlangte die straff militärisch organisierte Louveterie in Frankreich. Ihre Mitglieder hatten allerdings nicht nur die Aufgabe, die Wölfe von
Bauern und Hirten fernzuhalten, sondern mußten auch
die Jagdreviere des Königs vor Wölfen schützen und die in
Adelskreisen bald sehr beliebten Parforcejagden organisieren, erstrangige gesellschaftliche Ereignisse, bei denen es
hoch zu Roß gegen die Wölfe ging. Auch in England gewann
diese Jagdform weite Verbreitung ; lange Zeit galt sie dort
als die Krönung jagdlicher Betätigung schlechthin.
Dennoch war der Erfolg der Wolfsjäger eher mäßig. Obgleich immer raffiniertere Methoden eingesetzt wurden :
Tellereisen und Wolfsangeln, Fallgruben und Fanggärten,
Luderplätze und Gift, Hunde und Locktiere aller Art, gelang
es nirgends, die Wölfe zu vertreiben. Oder wollte man es
vielleicht gar nicht ? In den meisten Ländern waren jene,
die unter den Wölfen am schwersten zu leiden hatten, nicht
befugt, sich mit Waffengewalt gegen sie zu wehren. Allenfalls durften sie mit Heugabeln, Sensen, Stöcken oder durch
Steinwürfe versuchen, angreifende Wölfe zu verscheuchen,
wie in vielen Erlassen und Verordnungen aus jener Zeit
genauestens festgehalten ist. Denn die Jagd war Privileg des
Adels. Sogar Hunde durfte der Landmann zeitweilig nicht
mehr besitzen. Nur die Hirten in den abgelegenen Gebirgsregionen hatten das Recht, große Hunde zu halten, um ihre
Herden gegen die Wölfe zu schützen ; bis heute sind in vielen der traditionellen Schafzuchtgebiete Europas diese großwüchsigen Hirtenhunderassen im Einsatz. Zum Schutz der
Hunde legte man ihnen – und tut dies auch heute noch –
Die »Wolfsangel«.
schwere Eisenketten mit nach außen gerichteten spitzen
Nägeln um den Hals. So durfte man sich also wehren. Vertreiben aber konnte man die Wölfe dadurch nicht.
Als erstem Land in Europa gelang es England, den Wolf
auszurotten. Dies war freilich nicht das Verdienst der vielen
Wolfsjäger, der jagdbegeisterten Ritter oder gar der unter
den Wölfen leidenden Bauern, sondern hing mit der Vernichtung des Waldes auf der Insel zusammen. Bis heute
zeugen Namen wie Wolf Howes, Howl Moors und Wolf
Pits von den damaligen Wolf-Rückzugsgebieten, von denen
jedoch am Ende des Mittelalters die meisten bereits gerodet, trockengelegt oder verbaut waren. Ohne Schutz indes
waren die Wölfe verloren. Kurz bevor die letzten von ihnen
verschwanden, wurde ihnen sogar eine jagdliche Schonzeit zugesprochen ; doch auch das konnte sie nicht mehr
retten. Allzu groß war der Haß des Volkes, als daß es sie
zum sportlichen Vergnügen des Adels geduldet hätte. Zu
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