Der Wolf
Wir ließen einen Wolf frei laufen, während
die anderen mit zwei Gruppen von Menschen unterschiedlicher Zusammensetzung und Zahl im Gelände getrennte
Wege gingen. Mir kam es darauf an festzustellen, welcher
Gruppe der frei laufende Wolf folgen würde. Häufig ließ
sich dieser viel Zeit und entschloß sich erst nach langem
Herumlaufen, einer der Gruppen zu folgen. Diese war inzwischen aber längst außer Sichtweite, und so fiel die Entscheidung, welcher Gruppe zu folgen sei, häufig nur anhand
der hinterlassenen Spur.
Auch am direkten Geruch erkennen sich die Rudelwölfe
untereinander offensichtlich sehr gut. Daher kommt es unter ihnen viel seltener zu Anogenitalkontrollen, als wir es
etwa von Hunden auf der Straße gewohnt sind. Nur wenn
ein Wolf längere Zeit eigene Wege gegangen ist und dann
zum Rudel zurückkehrt, wird er intensiv berochen. Dies
gilt auch für fremde Wölfe, an deren Geruch die Tiere vermutlich Alter und Geschlecht feststellen. Handelt es sich
um ein erwachsenes Tier, bedarf es aber keiner näheren
Kontrolle. Schon auf Abstand erkennen Wölfe den fremden
Artgenossen und gehen direkt zum Angriff über. Mit den
älteren, frei lebenden Wölfen in Rickling hatte ich manchmal erhebliche Schwierigkeiten deswegen. Bemerkten sie
einen erwachsenen Hund im Revier, war die Aufregung
immer groß, und sie zerrten wie verrückt an ihren Ketten.
Kamen oder waren sie frei, gab es eine wilde Jagd, wobei
sich der Hund nur durch Flucht retten konnte.
Mit Kommunikation im anfangs definierten Sinn hat die
geruchliche Individualerkennung vermutlich noch wenig zu
tun ; jedenfalls wissen wir nicht, ob es sich hierbei manchmal doch um gerichtete Signale und eine entsprechende
Reaktion darauf handelt. Auch was der Duft der verschiedenen Drüsen, etwa der zwei Analdrüsen am After oder
der Pecaudaldrüse am oberen Schwanzansatz, den Wölfen
möglicherweise mitteilt, wissen wir nicht.
Etwas besser unterrichtet sind wir dagegen über das Markierungsverhalten der Wölfe. Es ist eine Kommunikation
mit zeitlicher Verzögerung, zu der bei Tieren mit guter
Nase geruchliche Informationsträger natürlich besonders
geeignet sind. Bei den Wölfen spielen dabei der Kot und
vor allem der Urin die wichtigste Rolle. Kot wird häufig an
auffallenden Stellen, etwa auf einem Stein, an einem Busch
oder auf einem Baumstumpf, abgesetzt. Sein Geruch ist im
frischen Zustand sehr stark, und auch mehrere Tage alte
Kotstellen werden von anderen Wölfen intensiv berochen,
manchmal sogar unter tiefem Schnee hervorgegraben.
Wichtiger als das Markieren mit Kot scheint für die Wölfe
das Urinieren zu sein. Wölfe können wie Hunde Urin auf
zwei verschiedene Weisen absetzen : Entweder sie stehen
mit eingeknickten Beinen und geben den Urin, zumeist in
größeren Mengen, direkt nach unten ab, wobei die Weibchen viel tiefer in die Hocke gehen als die fast aufrecht stehenden Rüden. Oder sie heben ein Hinterbein – der Rüde
nach außen, das Weibchen mehr nach vorne – und spritzen
den Urin, meistens nur eine kleine Menge, seitlich gegen
einen Gegenstand. Dieses »Spritzharnen« wird nur von
geschlechtsreifen und ranghohen Wölfen des Rudels ausgeführt. Danach laufen sie oft, wie auch in seltenen Fällen
nach dem Koten, einige Schritte weiter und kratzen dann
alternierend mit allen vier Beinen auf dem Boden. Sie wühlen so Sand, Erde, Laub auf und hinterlassen dadurch auch
eine optische Marke neben dem Uringeruch.
Dave Mech, der seit Mitte der sechziger Jahre in Minnesota die Ökologie der dort frei lebenden Wölfe untersucht und von dessen Arbeit noch viel zu berichten sein
wird, hat zusammen mit seinem Mitarbeiter Roger Peters
interessante Beobachtungen zur Geruchsmarkierung der
Wölfe gemacht. Die einzelnen Rudel jagen hier in Gebieten von hundert bis dreihundert Quadratkilometern. Diese
Gebiete werden gegen rudelfremde Wölfe verteidigt, und
so kann man von echten »Territorien« sprechen. Die Größe
der Territorien bleibt über mehrere Jahre hinweg konstant,
und obwohl jedes Revier an mehrere Territorien benachbarter Rudel angrenzt, sind Konflikte zwischen den Rudeln
relativ selten. Auch Begegnungen mit rudelfremden Einzelgängern sind selten. Bei diesen handelt es sich in der Regel
um jüngere Wölfe, die aus bestehenden Rudeln ausgeschieden sind und eigene Wege gehen.
Mech erforschte, wie die räumliche Organisation der von
ihm untersuchten Wolfspopulation aufrechterhalten wird.
Früh begann er damit, Wölfe in Fallen zu
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