Der Wolf
glatt,
die Lippen sind nicht angespannt, und die Ohren werden
hauptsächlich zur Geräuschwahrnehmung bewegt. Er kann
sie nach vorne, zur Seite und nach hinten stellen, und zwar
zum Teil unabhängig voneinander, so daß die Öffnung des
einen Ohrs nach hinten zeigen kann, die des anderen zur
Seite. Wenn der Wolf den Kopf nach vorne zieht, etwa beim
Beriechen eines Gegenstandes oder im Galoppsprung, werden die Ohren normalerweise auch zurückgelegt.
Abweichungen von dieser Grundhaltung treten bei sozialen
Auseinandersetzungen auf : Die Körperhaltung wird zum
Signal. Die Haltung, die ein Wolf dabei einnimmt, ist natürlich abhängig vom Verhalten des Partners, das seinerseits
abhängig ist vom Verhalten des anderen. Eine derartige
Beziehung zwischen zwei oder mehreren Tieren ist bestimmt
durch mehrere Faktoren, von denen mindestens zwei konstant sind: das Geschlecht der Tiere und deren Altersunterschied. Ein dritter Faktor dagegen ist variabel und bringt
die Geschichte dieser Beziehung zum Ausdruck : das Rangverhältnis zwischen den Tieren. Weitere das Ausdrucksverhalten beeinflussende Faktoren sind neben dem Ort des
Geschehens vor allem jene, die wir als Motivation oder
Handlungsbereitschaft der Tiere zusammenfassen können :
ihre endogenen Antriebe, etwa Sexualität, Hunger, Müdigkeit und so fort. Welchen Einfluß diese Faktoren auf die
soziale Beziehung zwischen den Wölfen haben, werden
wir in den nächsten Kapiteln kennenlernen. Jetzt wollen
wir versuchen, diese so weit wie möglich unberücksichtigt
zu lassen und nur die kommunikativen Signale und ihren
Ursprung bei den verschiedenen Formen sozialer Auseinandersetzungen zwischen zwei Tieren zu betrachten.
Ausdruckselemente des Angriffs und der Angst
Seit Darwin haben wir uns daran gewöhnt, das expressive
Verhalten von Tieren als Ausdruck von entgegengesetzten
Antrieben zu deuten. Konrad Lorenz zum Beispiel deutete
in einer berühmt gewordenen Graphik die Gesichtsmimik
eines Hundes als Ausdruck des Wechselspiels zwischen
mehr oder weniger Wut und mehr oder weniger Angst.
Ein Tier ohne Angst und Wut hält die Ohren aufrecht und
den Mund geschlossen. Bei zunehmender Angst werden
die Ohren zurückgelegt, bei zunehmender Wut dann das
Maul aufgerissen und die Zähne gebleckt. Bei angstvoll
Wütenden ist demnach das Maul offen, und die Ohren sind
zurückgelegt. Wut und Angst können sich also überlagern
und gegebenenfalls beide gleichzeitig sehr stark sein (Abb.
S. 143).
Ausdrucksverhalten des Wolfes. Im Hintergrund frißt ein Weibchen in normaler Haltung. Die Rangordnung der drei Rüden
im Vordergrund erkennt man deutlich an ihrer Schwanz-, Kopf-
und Körperhaltung.
Diese Deutung der hündischen Mimik scheint zunächst
einleuchtend. Einige Beobachtungen lassen mich aber daran
zweifeln, daß sie zutrifft.
Nur in wenigen Fällen habe ich Wölfe wirklich ernsthaft
miteinander kämpfen sehen. Auch hemmungslose Angriffe
eines Wolfes zur Unterdrückung eines anderen Rudelmitgliedes sind verhältnismäßig selten. In beiden Fällen wird
jedoch ohne jede Vorwarnung angegriffen und mit aller Kraft
gebissen, und in beiden Fällen fehlen alle optischen und akustischen Ausdruckselemente : kein Wutgesicht, kein Zähneblecken, keine gesträubten Nackenhaare, kein steif nach oben
gehaltener Schwanz, kein Knurren. Die Körperhaltung des
angreifenden Wolfes entspricht vielmehr ganz der neutralen
Grundhaltung. Nur am Verhalten selbst, nicht am Ausdruck
ist die Stimmung der Tiere zu erkennen. In der Lorenzschen
Graphik hätte sich demnach bei zunehmender Wut ohne
Angst der Gesichtsausdruck gar nicht verändern dürfen.
Das Ausdrucksmodell von Konrad Lorenz. Von a zu c :
zunehmend ängstlich ; von a zu g : zunehmend aggressiv ;
i : maximale Überlagerung von Angst und Aggression.
Eine weitere Beobachtung widerspricht Lorenz’ Deutung :
Der Gesichtsausdruck mit weit geöffnetem Maul, Zähneblecken und zurückgelegten Ohren, bei Lorenz der Ausdruck maximaler Wut und Angst, tritt nie spontan auf, sondern stets nur reaktiv, als Folge einer starken Bedrohung.
Hört die Bedrohung auf, zeigt der angegriffene Wolf dieses
Gesicht nicht mehr, sondern erst wieder bei einem neuerlichen Angriff. Es ist ein Ausdruck größter Verteidigungsbereitschaft. Der Wolf hat fraglos Angst dabei. Aber ist er
gleichzeitig auch »wütend«, also auch aggressiv?
Sicherlich sind Deutungen affektiver Zustände bei Tieren weitgehend spekulativ. Darauf zu verzichten wäre aber
trotzdem falsch,
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