Der Wolf
Welpen geboren. Mit meinem Hund
Flow wollte ich das Gehege nach den Welpen absuchen.
In einer Felsregion mit sehr dichter Buschvegetation fand
sie der Hund schließlich. Die Kleinen zeigten vor Flow
keine Angst, obwohl sie ihm zum erstenmal begegneten.
Die Mutter und die anderen Rudelwölfe waren uns bis zu
den Welpen gefolgt. Ich saß etwa dreißig Meter oberhalb
auf einem Felsvorsprung und konnte schließlich vier Welpen zählen.
Nach vielem gegenseitigem Beschnüffeln, Winseln und
Umeinanderrennen entfernte sich das Rudel wieder. Die
Welpen rannten noch ein paar Meter mit, verloren dann
aber die Spur und kehrten zum Höhleneingang zurück. Ich
wollte sehen, wie nahe ich herankäme, ohne daß sie mich
bemerkten, und kletterte hinunter. Etwa sieben Meter vor
dem Höhleneingang setzte ich mich auf einen Stein. Die
Welpen schauten in meine Richtung, konnten mich jedoch
mit ihren noch trüben blauen Augen offenbar nicht genau
erkennen. Trotzdem waren sie sehr unruhig und zuckten
bei jedem kleinsten Geräusch zusammen. Ich vermute, daß
sie meinen Geruch wahrgenommen hatten, aber nicht genau
wußten, was er bedeutete. Damit ich sie in dem dichten
Gestrüpp besser ausmachen konnte, schickte ich Flow voraus. Dieses Mal rannten sie vor ihm weg. Flow lief einem
der Welpen nach und stupste ihn mit der Vorderpfote an.
Der Welpe schrie ganz laut, und augenblicklich rannten
die anderen drei los, jeder in eine andere Richtung. Nach
der friedlichen Szene von vorhin waren sie wie umgewandelt. Der Schrei des einen hatte eine für die Welpen dieser
Größe phänomenal schnelle Flucht ausgelöst. Ein Welpe
versteckte sich in einem Felsspalt, ein anderer rannte direkt
auf mich zu. Ich erwischte ihn ; es war ein Weibchen. Die
Kleine knurrte und biß um sich, so klein sie war. Erst als
ich sie am Rücken faßte und hochhob, verfiel sie in eine
Starre ähnlich der »Tragestarre«, in welche die Wolfskinder
verfallen, wenn die Mutter sie im Maul wegschleppt. Ich
setzte die Kleine wieder ab. So schnell ihre kurzen Beine
sie trugen, rannte und kletterte sie den Hang hoch und
verschwand oberhalb der Felsen.
Inzwischen waren die Rudelwölfe zurückgekehrt und
bemerkten, daß die Welpen verschwunden waren ; aufgeregt rannten sie umher. Die Mutter dagegen lief zielstrebig auf eine etwa zweihundert Meter entfernte Böschung
zu, kam mit einem Welpen im Maul hervor und trug ihn
in die Höhle zurück. Dann rannte sie wieder zur selben
Böschung. Von meinem Platz oben auf dem Felsen über
der Höhle konnte ich sehen, wie ein zweiter Welpe, von
der Mutter und den beiden Rüden gefolgt, den Hang hinunterrannte. Schließlich konnten sie ihn, etwa vierhundert
Meter von der Höhle entfernt, zum Halten bringen, und
wieder war es die Mutter, die ihn nach Hause trug. Unterwegs bemerkte sie den dritten Welpen. Sie lief an ihm vorbei, und während sie den einen noch zurück zur Höhle trug,
blieben die beiden Rüden bei dem Welpen. In Gesellschaft
der größeren Wölfe beruhigte er sich deutlich. Dann wurde
auch er von der Mutter zur Höhle zurückgetragen.
Eine Wölfin hat es offensichtlich gar nicht so leicht, ihre
Jungen beisammenzuhalten ! Aber das war in diesem Zusammenhang weniger bedeutsam und auch kein neuerlicher
Beweis für die außerordentliche Scheu der Welpen vor dem
Menschen, mit dem sie hier zum erstenmal in Berührung
kamen. Was uns an diesem Vorfall interessiert, ist die blitzartige Flucht der kleinen Wölfe, als einer von ihnen, wohl
eher aus Schreck als vor Schmerz, so laut aufschrie. Das
Fluchtverhalten als Reaktion auf dieses Signal muß vermutlich nicht erst gelernt werden, sondern ist wohl angeboren. Ähnliches Verhalten der Welpen habe ich häufig
auch als Reaktion auf Warnlaute älterer Wölfe beobachtet.
Ein Welpe, der erst lernen muß, daß das Wuffen der Mutter Gefahr bedeutet, lernt womöglich das letztemal.
Ob angeboren oder ob erlernt – welches sind die verschiedenen Formen von Signalen, mit denen sich Wölfe untereinander verständigen ? Fangen wir gleich mit der schwierigsten Kommunikation an: der geruchlichen.
Kommunikation mit Hilfe des Geruchssinns
Der Geruch spielt eine große Rolle beim individuellen Erkennen der Rudelwölfe untereinander. Sicher erkennen sich
zwei Rudelmitglieder auch optisch. Im unübersichtlichen
Gelände oder auf größeren Abstand gewinnt dagegen die
Spur des anderen Wolfes an Bedeutung. Dies wurde deutlich bei unseren Trennungsversuchen, von denen später die
Rede sein wird.
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