Der Wolf
fremden Gegenstand, der ins Gehege geworfen wurde, ob Zigarettenschachtel, Zitronenschale oder Kleidungsstück, trugen sie herum,
legten ihn hin und wälzten sich darauf. Anfa und auch die
anderen Wölfe, die ich aus dem Gehege herausnehmen
konnte, wälzten sich vor allem am Anfang von Spaziergängen. Wenn wir dann zum Gehege zurückkamen, wurden sie von den anderen Wölfen immer ganz intensiv berochen. Manchmal versuchten diese sogar, sich an dem Fell
eines Heimkehrenden zu reiben. Der Reiz übelriechender
Substanzen ist offenbar sehr groß.
Dieses Wälzen ist für uns Menschen mit unserem verkümmerten Riechorgan eine seltsam anmutende Verhaltensweise, über deren Funktion wir bis jetzt nur spekulieren
können. Es gibt die Vermutung, das »Sichparfümieren« mit
Aas habe den Zweck, die anderen Rudelmitglieder auf vorhandene Futterquellen aufmerksam zu machen. Eine andere
Hypothese besagt, es könne einer geruchlichen Camouflage der Wölfe gegenüber Beutetieren dienen, da so ihr
Eigengeruch übertönt werde und sie sich besser dem Beutetier nähern könnten. Schließlich ist daran gedacht worden, das Wälzen in Aas diene ausschließlich einer individuellen Befriedigung der Wölfe und habe ansonsten keine
weitere Funktion.
Die letztere Hypothese ist deshalb unbefriedigend, weil
es unmöglich ist, sie experimentell zu testen. Solange keine
genauen Beobachtungen an frei lebenden Wölfen vorliegen
und auch keine Experimente zu den anderen beiden Erklärungsversuchen gemacht worden sind, ist es müßig, über die
Funktion dieser Verhaltensweise zu streiten. Möglicherweise
haben alle drei Deutungen eine gewisse Berechtigung.
Die optische Kommunikation
Ist uns die Bedeutung vieler geruchlicher Signale noch unbekannt, so wissen wir im Bereich der optischen Kommunikation, entsprechend unseren eigenen Fähigkeiten, etwas
besser Bescheid. Schon Darwin hat sich mit der Äußerung
von Emotionen bei Mensch und Tier beschäftigt. Am Beispiel des Ausdrucksverhaltens von Hunden entwickelte er
sein Prinzip von der Antithesis, wonach Tier und Mensch
bei einer Umkehrung ihrer Intentionen, etwa von Aggression zur Freundlichkeit, auch alle Signale des Ausdrucksverhaltens umkehren. Ein aggressiv angreifender Hund
macht sich möglichst groß; die Beine sind gestreckt, die
Rückenhaare gesträubt, die Ohren stehen nach vorne, der
Schwanz steif nach oben, und mit runden Augen starrt er
seinen Gegner an. Beim freundlich-unterwürfigen Hund
dagegen sind alle Signale des Ausdrucks umgekehrt : Er
macht sich klein, die Beine sind eingeknickt, die Körperhaare angelegt, der Schwanz wedelt, die Ohren werden
nach unten gezogen und nach hinten gelegt, wodurch das
Gesicht glatt und die Augen nicht mehr so groß und fixierend erscheinen.
Aggression und aktive Unterwerfung beim Hund
(nach Darwin, 1872).
Diese stimmungsabhängige Umkehrung von Ausdruckselementen können wir bei vielen Tierarten wie auch beim
Menschen beobachten. Es ist aber kein Zufall, daß Darwin
gerade den Hund als Beispiel hervorhob. Außer bei den
Primaten (Affen, Menschenaffen und Menschen) ist die
Körpersprache beim Wolf (und damit auch beim Hund)
besonders entwickelt. Anders gesagt: Für uns Menschen
erscheint die optische Kommunikation des Wolfes differenziert und vielseitig. Es ist allerdings möglich, daß Tierarten mit besseren Sehfähigkeiten, etwa die Katzenarten,
weniger ausgeprägte Signale zur Verständigung benötigen
und uns nur deswegen auch weniger entwickelt erscheinen.
Viele Katzenliebhaber werden diese Gedanken sicherlich
unterstützen, Pferdeliebhaber wiederum die Gesichtsmimik des Pferdes hervorheben und so weiter. Unsere Sehfähigkeiten sind eben auch stark abhängig von subjektiven
Faktoren, etwa Gewohnheiten und Interessen. Das zeigt
aufs neue, wie schwierig es ist, objektive Kriterien für die
Beurteilung kommunikativer Vorgänge zu finden, sogar in
dem uns vertrautesten, dem optischen Bereich.
Aus diesem Grund beschränken wir unseren Vergleich
doch lieber auf eine spezielle Gruppe, auf die hundeartigen
Raubtiere (Canidae). Hier können wir, trotz aller methodischen Unzulänglichkeiten, relativ gesichert feststellen, daß
das Ausdrucksverhalten beim Wolf, im Vergleich etwa zum
Fuchs oder zum Schakal, besonders differenziert entwikkelt ist. Warum aber gerade beim Wolf?
Bei normaler, ungestörter Haltung steht oder geht der
Wolf auf aufrecht, aber nicht steif gehaltenen Beinen, der
Schwanz hängt locker nach unten, das Gesicht ist
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