Der Wolf
dachte,
es hinge mit Anfas besonderer Situation zusammen. Doch
bei den Beobachtungen der weiteren Würfe in den nächsten Jahren ergab sich ein ähnliches Bild. In den ersten
Lebensmonaten war die Häufigkeit, mit der aggressive Verhaltensweisen bei den Welpen auftraten, vor allem im Spiel,
stets sehr hoch, sank dann aber während der kommenden
Monate schnell ab. Erst bei den über einjährigen Wölfen
stieg die Häufigkeit wieder.
Nun muß die hohe Frequenz aggressiven Verhaltens bei
den Welpen nicht auf einer hohen endogen bedingten Aggressivität beruhen ; sie kann auch mit dem Fehlen einer Beißhemmung und der schon früher erwähnten Unkenntnis
über die Bedeutung vieler kommunikativer Signale zusammenhängen.
Erst im Spiel lernen die Welpen die Bedeutung der Signale,
ebenso, daß eigenes zu festes Zubeißen wiederum Beißen
der Partner zur Folge hat, also weh tut. Die Beißhemmung
beim Spiel der Welpen wie auch bei den meisten Formen
aggressiver Auseinandersetzung unter den älteren Wölfen
wäre demnach ein durch Lernprozeß bedingter und auf der
Angst vor Schmerz beruhender Mechanismus, der Verletzungen im Rudel weitgehend verhindert. Wie häufig bei
der Analyse des Verhaltens höher entwickelter Tiere reicht
aber diese Erklärung für das Entstehen der Beißhemmung
allein nicht aus. Warum sind zum Beispiel die erwachsenen Wölfe so vorsichtig im Umgang mit den Welpen ? Das
kann ja nicht auf der Angst beruhen, selbst gebissen zu werden. Hier scheinen vielmehr – genau wie bei der Deutung
lebenswichtiger Signale – angeborene Hemmungsmechanismen vorzuliegen. Diese kommen den unterlegenen Wölfen
beim Demutsverhalten zugute, bei dem sie sich wie Welpen
verhalten, sich also scheinbar völlig hilflos dem Ranghöheren ausliefern und sich so dessen Beißhemmung gegenüber Welpen zunutze machen. Im Tierreich ist Aggressionsbeschwichtigung mit Hilfe infantiler Signale recht häufig
zu beobachten. Wir werden aber in den folgenden Kapiteln sehen, daß beschwichtigende Verhaltensweisen beim
Wolf nur dann beschwichtigend wirken, wenn die Situation von vornherein nicht so aggressiv ist, daß fest gebissen
wird. Der demütige Wolf »weiß« offensichtlich, daß er nicht
in Gefahr ist, fest gebissen zu werden. Ansonsten würde
er Abstand halten oder, wenn dies nicht möglich ist, sich
intensiv verteidigen. Die Beißhemmung wird also nicht in
erster Linie durch Demutsverhalten ausgelöst, wie Lorenz
annahm, sondern beruht auf der Erfahrung des Angreifers, hängt zusammen mit seiner Angst, selbst gebissen zu
werden, wenn sein Beißen intensives Verteidigungsverhalten beim Angegriffenen auslöst.
Die Beißhemmung dient somit auch nicht einem abstrakten, allen Beteiligten gemeinsamen Ziel wie der Arterhaltung, sondern nur den individuellen Interessen des nicht
fest Zubeißenden, der dadurch der Gefahr, selbst gebissen
zu werden, aus dem Weg geht beziehungsweise die Gefährdung eigenen oder verwandten Nachwuchses vermeidet.
Dementsprechend beobachten wir bei den Wölfen hemmungsloses Beißen – bis hin zum Töten von Artgenossen
– nur dann, wenn ganz wesentliche eigene Interessen auf
dem Spiel stehen, etwa beim Machtkampf um eine Vorrang-,
eine Alpha-Position, bei der Vertreibung von Konkurrenten
aus dem Rudel oder bei Auseinandersetzungen mit rudelfremden Tieren. Im siebten Kapitel werde ich auf die in
diesem Zusammenhang wesentlichen Fragen der Gruppenund Individualselektion (beziehungsweise Genselektion)
näher eingehen.
Ausdruckselemente freundlicher Stimmung
Wie beim Demutsverhalten vermeiden Wölfe auch bei Sozialkontakten in freundlicher Absicht jedes Signal aggressiver Stimmung: Alles ist locker, und der Schwanz wedelt.
Schwanzwedeln ist vor allem ein Zeichen für Aufregung.
Bei den kleinen Welpen wedeln die Schwänze stark, wenn
sie bei der Mutter saugen. Später wedeln sie auch aufgeregt
mit dem Schwanz, wenn sie bei den erwachsenen Wölfen
um Futter betteln. Sie springen an den größeren Wölfen
hoch und versuchen, sie am Mundwinkel zu lecken. Daraufhin läßt häufig der Größere sein im Maul getragenes
Futterstück los, oder er erbricht im Magen transportiertes
Futter. Das ganze Verhalten ähnelt sehr dem der aktiven
Unterwerfung, wenn auch beim Futterbetteln die Leckbewegungen ausschließlich auf das Maul des großen Wolfes
gerichtet und die Ausdruckselemente der Unterwerfung,
wie Ohr- und Schwanzhaltung, nicht so ausgeprägt sind.
Vermutlich ist die aktive Unterwerfung aus dem
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