Der Wolf
Gegnern beobachten wir das »Imponieren«. Es
gibt einseitiges Imponieren, bei dem nur der Ranghöhere
imponiert, und es gibt gegenseitiges Imponieren zweier fast
gleichrangiger Wölfe. Die gesträubten Rückenhaare, die
stark gehemmten Bewegungen und der abgewandte Blick
sind alles deutliche Zeichen für die mit einer Angriffstendenz gekoppelte Angst. Diese verhindert in der Regel wie
Verfolgen.
derum, daß sich aus einer derartigen Situation ein Ernstkampf entwickelt.
Eine besondere Form gehemmter Aggressivität ist das
Drohverhalten, das bei den Wölfen durch eine ritualisierte
Beißhemmung zum Ausdruck kommt : das Zähneblecken.
Es stellt stets eine Warnung für den Gegner dar. Reagiert
dieser entsprechend, indem er die Distanz zum Gegner
vergrößert oder wenigstens nicht verkleinert, folgt auf die
Drohung meistens kein Angriff. Tut er es nicht, kommt es
je nach Rangbeziehung zu den oben beschriebenen Formen
aggressiver Auseinandersetzung. Nur den beiden intensivsten Formen – dem Ernstkampf und der Flucht – gehen
keine Drohungen voraus.
Zunehmende Angriffs- beziehungsweise Verteidigungstendenz beim Drohen wird durch das Ausmaß des Nasenrückenrunzelns und des Zähnebleckens ausgedrückt. Auch
die Öffnung des Mauls zeigt an, wie groß die Beißbereitschaft ist. Kurz vor dem Beißen wird das Maul ganz weit
aufgerissen. Reagiert der Gegner immer noch nicht, wird
jetzt auch tatsächlich zugebissen.
Angst wird durch die Länge der Mundwinkel und durch
die Ohrhaltung ausgedrückt : Je länger der Mundwinkel, je
weiter die Ohren nach unten gezogen und nach hinten gelegt
sind, desto größer ist die Angst. Durch das Zurückziehen
der Ohrwurzeln wird auch die Fellstruktur im Gesicht glatt,
die neben dem »flackernden« Blick zu dem sehr schwer zu
beschreibenden angstvollen Ausdruck der Augen beiträgt.
Bei geringer Angst und starker Angriffstendenz sind die
Drohen zwischen Angst und Aggression.
Ohren dagegen nach oben gezogen und nach vorne gestellt.
Die jetzt voll zum Ausdruck kommenden Fellstrukturen im
Gesicht, vor allem die schwarzen Flecken unter den Augen
sowie der fixierende Blick selbst, lassen die Augen jetzt ganz
anders erscheinen als beim angstvollen Drohen.
Interessanterweise wird der Mundwinkel beim intensiven Verteidigungsdrohen wieder kürzer : dies als Ausdruck
größter Beißbereitschaft. Nur die Ohrhaltung und die Augen
verraten jetzt, wieviel Angst der Wolf tatsächlich hat.
Zwischen den verschiedenen Ausdruckselementen gibt es
viele Übergänge. Manchmal kommt es zu geradezu komischen Kombinationen. Mehrmals habe ich einen rangniedrigen Wolf beobachten können, der ein Stück Futter verteidigte, wobei es so aussah, als habe er vorne Mut und hinten
Angst. Vorn drohte er mit kurzen Lippen und nach vorne
gestellten Ohren, hinten aber waren die Hinterbeine eingeknickt und der Schwanz zwischen die Beine geklemmt.
Die Beißhemmung
Wir haben gesehen, daß es in den wenigsten Fällen aggressiver Konfrontationen zwischen Wölfen zu ernsthaften
Kämpfen kommt. Die Angst der Tiere scheint hier eine
ganz besondere und wichtige Rolle zu spielen. Sie verhindert in der Regel, daß fest zugebissen wird, denn darauf
reagiert der Gegner ebenfalls mit festem Beißen. Bei den
harten Bedingungen, unter denen die Wölfe leben, ist jede
Verletzung lebensbedrohend. Ein System, das solche Verletzungen verhindert, scheint daher äußerst »sinnvoll«.
Über diese Beißhemmung bei Wölfen und Hunden ist
schon viel geschrieben worden. Lorenz nahm an, daß sie
erstens angeboren sei, zweitens ausgelöst werde, wenn der
Gegner seine Unterlegenheit durch Demutsverhalten zeigt,
und drittens der Arterhaltung diene, da sie Verletzungen
oder den Tod des Unterlegenen verhindert.
Wieder waren es Beobachtungen an Anfa, die erste Zweifel an bestehenden Vorstellungen weckten. Im rauhen Spiel
mit den anderen jungen Welpen gab es anfangs viel Geschrei.
Offensichtlich waren Anfas Spielbisse zu fest. Die jungen
Welpen reagierten darauf mit Schreien und bissen kräftig
und wütend zurück. Der relativ großen Anfa machten diese
Angriffe aber nichts aus ; sie spielte einfach weiter, und die
Spiele waren daher sehr aggressiv. Mir schien es zuerst, als
sei sie verhaltensgestört und verstehe gar nicht, um was es
ging. Erst als Anfa fünf und die anderen Welpen knapp
vier Monate alt waren, wurde das Spiel friedlicher.
Damals wußte ich noch zuwenig, um diese Entwicklung
der Aggressivität bei den Welpen zu verstehen. Ich
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