Der Wolf
–
einmal einen Ausfall gegen Andra, wurde aber sofort von
Anfa in eine Ecke vertrieben. Andra wurde langsam sozial
freier und spielte ab und zu. Gegen Anfa zeigte sie intensives Demutsverhalten, und diese ließ sie mehr oder weniger in Ruhe.
Nach dieser langen Phase von Rangkämpfen wurde es
im Rudel zwischen den Weibchen langsam friedlicher. Zu
einer ähnlichen Unterdrückung wie im Winter kam es nicht
mehr. Offensichtlich handelte es sich bei den letzten Kämpfen um reine Rangpositionskämpfe und ihre Nachspiele. Als
die Rangfolge dann endgültig festlag und von allen akzeptiert wurde, kam es immer seltener zu aggressiven Auseinandersetzungen. Die soziale Rangordnung war festgelegt
und der Friede im Wolfsrudel wieder eingekehrt.
Die zunehmende Aggressivität bei Anfa und Andra im
Herbst 1968 war mit der Geschlechtsreife gekoppelt. Sie
erreichte ihren vorläufigen Höhepunkt zur Ranzzeit im
Spätwinter. Bei Mädchen dagegen trat der Versuch, die
Alpha-Position zu erreichen, früher ein. Vermutlich wurde
sie durch die Aggressivität zwischen den beiden älteren
Weibchen zu diesem Versuch animiert, und Anfas Schwäche nach ihrem Kampf mit Andra ausnutzend, gelang es ihr
sogar, die höchste Position, wenn auch nur für kurze Zeit,
zu erreichen. Interessant ist, daß sie auf jeden Fall bereits
einjährig, also bevor sie selbst die Geschlechtsreife erreicht
hatte, in der Lage war, das Geschlecht der anderen Wölfe
im Rudel zu erkennen, wie sie sich auch über ihr eigenes
Geschlecht »im klaren war«.
Angriffe gegen Menschen
Die mit Erlangung der Geschlechtsreife zunehmende Aggressivität der Wölfe äußerte sich bei den nichtzahmen Wölfen nur bei innerartlichen Auseinandersetzungen. Andra
und Großkopf waren Menschen gegenüber in keiner Weise
aggressiver oder weniger scheu. Bei den gegenüber Menschen sozialisierten Wölfen, die den Menschen also ebenfalls als Sozialpartner betrachteten, war es aber anders –
und leider sehr unangenehm, ja sogar gefährlich. Wieder
hob sich hier Anfa, der am meisten auf den Menschen be zogene Wolf, hervor.
Ihre langsamen Verhaltensveränderungen Menschen gegenüber beobachtete ich bei Anfa erstmals im Sommer 1968,
als sie etwas über ein Jahr alt war. Ein älterer, schmächtiger und nicht allzu großer Herr, ein Rentner aus Rickling,
besuchte uns des öfteren. Er stand manchmal stundenlang
vor dem Wolfsgehege und beobachtete die Tiere. Lange
Zeit begrüßte ihn Anfa überschwenglich, wie alle anderen Menschen auch. Aber dann sah ich eines Tages, wie
sie den Mann wütend hinter dem Zaun angriff, gegen den
Maschendraht sprang und sich darin verbiß. Ihr Verhalten
war sehr ungewöhnlich, so daß ich glaubte, der Mann habe
Anfa durch den Zaun hindurch gereizt, vielleicht Steine
geworfen oder sie mit einem Stock geprügelt – ein falscher
Verdacht, wie sich herausstellen sollte.
Das zweite Opfer von Anfas Aggressivität wurde unser
guter Freund Jasper, Arzt in Rickling. Jedesmal wenn Dagmar und ich für einige Tage wegfahren mußten, hatte er
die Tiere versorgt. Anfa war seine große Favoritin, und
die Freundschaft schien gegenseitig zu sein. Eines Tages
aber, als er im Winter 1969 wieder Futter in das Gehege
trug, kam Anfa wie gewöhnlich aufgeregt angerannt und
begrüßte ihn in ihrer üblichen stürmischen Weise. Immer
wieder rannte sie schwanzwedelnd auf ihn zu, mit eingeknickten Beinen und zurückgelegten Ohren, sprang an ihm
hoch, leckte ihm ins Gesicht und rannte wieder weg, kam
zurück, und plötzlich, ohne Vorwarnung, biß sie zu. Es war
kein fester Biß, eher ein Schnappen, aber es traf Jasper an
einer äußerst empfindlichen Stelle: am Penis. Das war das
Ende einer Freundschaft.
Ähnlich erging es nicht viel später einem anderen Freund,
Peter, Fotograf beim »Stern«. Gemeinsam waren wir mit
allen Wölfen lange unterwegs gewesen. Die Wölfe hatten
Peter völlig akzeptiert. Er konnte an sie herangehen, sie an
der Leine führen, mit ihnen spielen, und wieder war natürlich Anfa die Favoritin. Spät am Nachmittag kamen wir
zur Försterei zurück und brachten gemeinsam die Wölfe
ins Gehege. Peter machte noch ein paar Fotos, dann verließen wir das Gehege. Ohne daß ich es bemerkte, ging
dann Peter allein in das Gehege zurück. Ich hörte nur sein
unterdrücktes Aufschreien : Anfa war auf ihn zugelaufen
und hatte, wieder ohne Vorwarnung, zugeschnappt; wie bei
Jasper nicht sehr fest, aber am gleichen Körperteil.
Peter war ganz blaß geworden, konnte aber
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