Der Wolf
schon wenig
später wieder lachen. Auch seine Kollegen in Hamburg
haben dann viel über diesen Vorfall gelacht, und heute
noch, wenn ich einen Journalisten oder einen Fotografen
vom »Stern« treffe, spielen sie auf die Geschichte von Peter
und dem Wolf an. Daß Peter ein Jahr später mit seiner Frau
ein Kind bekam, wurde als »Wunder« bezeichnet.
Nun, zum Lachen war das Ganze eigentlich doch nicht,
wenn auch bis jetzt jeder mit dem Schrecken davongekommen war. Anfa entwickelte zunehmend Aggressionen gegen
manche Menschen, während sie andere wie üblich stürmisch und freundlich begrüßte. Es handelte sich überwiegend um kleinere, schmächtige, nicht gerade laut auftretende
junge Männer, die sie derart angriff, und zwar vorerst nur
im Gehege gegen den Zaun. Von jetzt an ging nur noch ich
zu ihr hinein. Außerhalb des Geheges war Anfa hingegen
vorerst immer noch friedlich, bis sie eines Tages auch hier
angriff: diesmal Arndt, einen Freund und Kollegen aus dem
Institut. Wir wollten zusammen mit mehreren Leuten und
den Wölfen eine Wanderung machen. Anfa hatte Arndt
schon hinter dem Zaun wütend angegriffen, und deshalb
nahm ich sie gleich an die Kette und band sie dann außerhalb an einen Baum, während ich die anderen vier Wölfe
herausließ. Plötzlich riß sich Anfa los, rannte geduckt auf
Arndt zu und biß ihn, diesmal sehr fest, ins Bein. Arndt
stand wie erstarrt und sagte kein Wort, und ich war sofort
da und konnte Anfas Maul aufreißen, so daß Arndt freikam. Es war keine große Wunde, nur zwei tiefe, kaum blutende Einbisse. Wir brachten Arndt sofort zu einem Arzt,
der ihm eine Tetanusspritze gab. Die Wunde selbst mußte
nicht genäht, nicht einmal verbunden werden. So schien
alles wieder relativ glimpflich abgegangen zu sein.
Bis Arndt drei Tage später hohes Fieber bekam. Er fuhr
mit dem Taxi in die Universitätsklinik und erwähnte bei
der Aufnahme nebenbei, daß er vor ein paar Tagen von
einem Wolf gebissen worden sei. Damit war die Aufregung
perfekt. Der Chef persönlich nahm ihn auf seine Privatstation und setzte sich mit unserem Chef, Professor Herre, in
Verbindung. Dieser wiederum rief mich an und erzählte
wütend, Arndt sei sehr schwer verletzt; man rechne möglicherweise mit dem Schlimmsten.
Das saß. Ich hatte ganz schwere Glieder von dem Schock.
Dagmar aber sagte als erste, daß da wohl etwas nicht stimmen könne. Wir fuhren zu Jasper, der in Rickling Arzt war.
Er konnte sich das Ganze auch nicht erklären und rief in
Kiel an. Ein Studienkollege von ihm, Oberarzt an der Universitätsklinik, hatte Arndt selbst untersucht und meinte,
das hohe Fieber hänge womöglich gar nicht mit dem Biß
zusammen. Sein Chef habe dagegen von einer möglichen
Unverträglichkeitsreaktion gesprochen. Was damit gemeint
sei, wisse er auch nicht, doch die Aufregung sei immer
noch sehr groß.
Drei Tage später wurde Arndt aus dem Krankenhaus entlassen ; es war eine Angina gewesen – also viel Aufregung
um relativ wenig. Ich bin überzeugt : Wenn Arndt erwähnt
hätte, er sei von einem Hund gebissen worden – niemand
im Krankenhaus hätte das mit seinem Fieber in Verbindung gebracht. Aber ein Wolf! Wieder diese Irrationalität.
Es war uns allen eine Lehre. Mir wurde darüber hinaus klar,
daß Anfa nicht mehr freigelassen werden konnte.
Meine Arbeit mit den Wölfen und den Pudeln war jetzt
nach zweieinhalb Jahren ohnehin beendet. Im Sommer
1969 hatte ich angefangen, die Ergebnisse auszuwerten, und
die ersten Seiten der Doktorarbeit waren geschrieben. Es
fiel uns natürlich schwer, Rickling und unser Leben mit
den Wölfen aufzugeben. Aber da die Forstverwaltung unser
Haus für einen neuen Waldarbeiter brauchte, war der Abschied unumgänglich, und die Freiheit der Wölfe hatte
ein Ende.
Im Herbst 1969 brachen wir auf. Zuerst kamen die drei
älteren, später auch die vier jüngeren Wölfe nach Kiel in den
Haustiergarten des Instituts (diesmal wurden die nichtzahmen Wölfe mit Hilfe eines Narkosegewehrs immobilisiert).
Die neuen Zwinger waren sehr klein, und so trennten wir
die Tiere. Anfa und Großkopf kamen in ein Gehege, Alexander, Näschen, Wölfchen und Mädchen in ein weiteres.
Andra sollte forthin Puwos »produzieren« und wurde mit
einem der Pudelrüden zusammen in ein Gehege gesperrt.
Die meisten anderen Pudel konnte ich verschenken. Ich
weiß nicht mehr, wie viele es im Laufe der Jahre gewesen
sind, die ich auf diese Weise vor der Präparation im Institut retten konnte. Daß die Besitzer
Weitere Kostenlose Bücher