Der Wolf
Busch, hob
dort das Bein und urinierte. Um das Gesicht nicht völlig
zu verlieren, tat ich das gleiche, stolzierte im Gehege umher
und ging dann langsam zur Tür und aus dem Gehege hinaus.
Als ich in der nächsten Woche wieder nach Kiel kam,
nahm ich mir vorsorglich einen Spaten mit ins Gehege, und
dieses Mal schien Alexander vor mir größeren Respekt zu
haben. Nach der Übersiedlung nach Sylt hatte ich bei jedem
Besuch die Wölfe noch an der Leine im Universitätsgelände
herumgeführt; jetzt war dies aber mit Alexander kaum noch
möglich. Zwar ließ er sich immer noch von mir anketten
und aus dem Zwinger herausnehmen, und außerhalb des
Zwingers hörte seine Aggressivität mir gegenüber sowieso
weitgehend auf, aber er war hier sehr aufgeregt, mußte an
jedem Baum urinieren und intensiv drohend mit hochgestellten Rückenhaaren scharren, so daß das Spazierengehen mit ihm keine Freude war. Fremden Menschen gegenüber drohte er auch, und bei Hunden war er kaum noch
an der Kette zu halten. Unter diesen Umständen ließ ich
ihn lieber im Zwinger.
Ein paar Wochen später wurde es dann mit einem anderen Wolf, mit Anfa, wirklich kritisch. Bei meinen ersten
Besuchen von Sylt aus hatte sie mich immer noch stürmischfreundlich begrüßt und war nicht von meiner Seite gewichen. Bei einem Besuch im Februar merkte ich aber schon
außerhalb des Zwingers, daß sich ihr Verhalten mir gegenüber irgendwie verändert hatte. Sie wedelte zwar mit dem
Schwanz und winselte aufgeregt, aber gleichzeitig biß sie
leicht in den Zaun hinein. So dachte ich, daß es besser
wäre, Anfa in den anschließenden Stall einzusperren, während ich den Zwinger saubermachte. Ich lockte sie hinein
und schloß dann von außen die Schiebetür zum Zwinger.
Durch eine kleine rechteckige Luke in knapp zwei Meter
Höhe beobachtete ich sie im Stall. Sie erkannte mich und
stemmte die Vorderbeine hoch gegen die Tür und knurrte
leise. Ich ging hinaus, und über einen Gang erreichte ich
von draußen durch eine Tür den Zwinger. Gerade hatte
ich angefangen, den Dreck wegzuräumen, als vom Stall
her laute Geräusche hörbar wurden. Verflucht, dachte ich,
die Luke zum Stall ist nicht zu; vielleicht versucht sie jetzt,
sich durch die Öffnung hindurchzuzwängen. Ich rannte
aus dem Zwinger heraus in Richtung Stall – und da kam
mir Anfa schon entgegen. Sie machte einen riesigen Satz
und sprang mich mit voller Wucht an. Mit meinen Händen konnte ich sie im Sprung abfangen und an beiden Seiten des Halses festhalten. Ich hob sie dann so hoch, daß
sie mit den Füßen nicht auf dem Boden aufsetzen konnte,
und trug sie – wo ich die Kräfte dazu hernahm, weiß ich
nicht – zu der Zwingertür, stieß diese mit dem Fuß auf
und schmiß die Wölfin in den Zwinger hinein. Noch in
der Luft drehte Anfa sich um, und kaum auf dem Boden,
machte sie wieder einen Sprung auf mich zu. Gerade noch
rechtzeitig konnte ich die Tür zwischen uns beide bringen,
und sie sprang in das Gitter hinein. Wütend biß sie in die
Maschen, so daß sie sich das Zahnfleisch blutig riß ; vor
Aufregung war sie wie verrückt.
Ich war froh, draußen zu sein. Von dieser Begegnung an
hat sich Anfas Aggression mir gegenüber nicht mehr gelegt,
und ich bin danach nie wieder in ihren Zwinger hineingegangen. Ein halbes Jahr später kam sie, zusammen mit
Großkopf, in den Tierpark Neumünster. Dort haben Dagmar und ich sie ein paarmal besucht. Einmal waren fast zwei
Jahre seit dem letzten Besuch verstrichen. Anfa erkannte
uns sofort wieder, und während sie mich wie in Wut hinter dem Zaun angriff, rannte sie auf Dagmar in freundlichdemütiger Haltung zu, drehte sich um, rannte erneut wie
eine Irrsinnige auf mich los, drehte sich wieder um und
war der friedlichste Wolf, den man sich denken konnte :
das alles binnen Sekunden. Noch nie habe ich bei einem
anderen Wolf eine derart schnelle und totale Umkehr der
Ausdrucksstrukturen erlebt.
Warum hat Anfa mich nach einer so langen und intensiven Freundschaft derart plötzlich zu »hassen« begonnen? Die
Aggression Alexanders mir gegenüber ist verständlich : Als
neuer Alpha-Rüde war er wohl bemüht, auch mir gegenüber
seine Vormachtstellung zu behaupten. Bei Anfa hingegen,
glaube ich, lagen die Ursachen woanders. Ihr Verhalten läßt
sich nur noch als neurotisch bezeichnen. Vermutlich hängt
das Ganze mit der Geschichte ihrer Welpenzeit zusammen,
als sie zunächst von Menschen aufgezogen und stark an sie
gebunden wurde, dann aber von diesen
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