Der Wolf
dieser seltsamen wolligen, langschwänzigen Königspudel aber zufrieden waren,
habe ich immer wieder zu hören bekommen.
Als die Zwinger alle leer waren, zogen Dagmar und ich
fort nach Sylt, wo ich einige Monate ungestört meine Arbeit
schreiben konnte. In dieser Zeit beobachteten wir die Anfänge einer interessanten Veränderung in der Rangordnung
der Rüden, wovon ich noch berichten möchte.
Rangauseinandersetzungen bei den Rüden
Solange Großkopf noch im Rudel war, war er eindeutig der
Alpha-Rüde. Zwischen Alexander, Näschen und Wölfchen
gab es keine erkennbare Rangordnung. Großkopf spielte
mit allen dreien und zeigte keine Form von Unterdrükkung. Nur gegenüber Alexander, dem stärksten der drei
Brüder, demonstrierte er manchmal seinen höheren Rang
durch leichtes Imponiergehabe oder indem er Alexander
ansprang und ihn mit dem Körper nach unten drückte.
Vermutlich hing dies damit zusammen, daß Alexander die
Alpha-Stellung von Großkopf nicht so völlig akzeptierte
wie Wölfchen und Näschen, sondern leichte Expansionstendenz nach oben, wiederum besonders im Spiel, zum
Ausdruck brachte. Insgesamt aber war die Rangordnung
zwischen den Rüden bis zu ihrer Trennung stabil.
Als Ende Oktober 1969 Großkopf aus dem Rudel entfernt
wurde, nahmen die aggressiven Auseinandersetzungen zwischen den drei jüngeren Rüden schlagartig zu – als seien
sie plötzlich von einer Hemmung befreit. Sie drohten und
imponierten gegeneinander, manchmal kam es auch zu
Beißereien. Aber immer noch war der Respekt vor dem
Gegner so groß, daß wirklich festes Beißen nicht beob
Beißerei.
achtet wurde. Näschen war der weitaus Aggressivste der
drei, konnte aber die Alpha-Stellung nicht sichern. Langsam ebbte die Aggressivität wieder ab.
Als die Wölfe im Dezember 1969 nach Kiel kamen, gingen die Auseinandersetzungen weiter. Nach wie vor war
Näschen der Aktivere und Aggressivere, aber allmählich
hörten die Angriffe gegen Alexander auf, und nur noch
Wölfchen wurde von Näschen angegriffen. Alexander wiederum griff hauptsächlich Näschen an, wurde immer stärker, und am 23. Januar 1970 kam es zu einem Machtkampf.
Auch Wölfchen war sofort dabei. Gemeinsam mit Alexander kämpfte er gegen Näschen. Alle drei Tiere zeigten
Beißschütteln und lautloses, hemmungsloses Beißen, also
Ernstkampf, der aber längst nicht so hart geführt wurde
wie der bei den Weibchen. Schon nach wenigen Minuten
hatte Näschen den Kampf verloren. Er war nicht schwer
verletzt und konnte die weiteren Angriffe abwehren. Aber
seine wenn auch nur schwache Alpha-Position hatte er
eingebüßt ; neuer Alpha-Rüde war jetzt Alexander. In der
nächsten Zeit war die soziale Rangordnung zwischen den
Rüden recht stabil; die aggressiven Auseinandersetzungen
waren selten und harmlos. Dagegen wurde Alexander mir
gegenüber immer aggressiver. Einmal in der Woche fuhr
ich von Sylt nach Kiel, um nach den Tieren zu schauen und
die Zwinger sauberzumachen. Zuerst bemerkte ich gar nicht
die Veränderung bei Alexander. Aber als ich eines Tages
in den Zwinger kam, sprang er plötzlich an mir hoch und
legte beide Vorderpfoten auf meine Schulter. So groß, wie
er war, schaute er mich mit zähnebleckendem Gesicht von
oben an. Jedesmal wenn ich mich bewegte, knurrte er lauter, und seine großen weißen Zähne kamen mir wirklich
bedenklich nahe. Wohl war mir in dieser Situation nicht.
Ich versuchte ihn zu beruhigen, sprach langsam mit ihm,
sagte : »Alexander, Alexander, sei ruhig, sei ruhig !« Aber es
half nichts – er stand aufrecht vor mir und knurrte weiter.
Die Kollegen im Institut hatten inzwischen auch bemerkt,
was los war, und hingen alle, das Schauspiel beobachtend,
in den Fenstern. Ich wußte nicht, wie ich mich ehrenhaft
aus der Situation retten sollte, und sprach weiter auf Alexander ein. Sobald ich mich jedoch nur ein wenig rührte,
wurde das Knurren wieder lauter, das Zähneblecken noch
bedrohlicher. Vermutlich hatte Alexander genausoviel Angst
wie ich. Jede plötzliche oder unvorsichtige Bewegung hätte
ihn zum Angriff bewegen können, und dem wäre ich wohl
kaum gewachsen gewesen. So blieb mir nichts anderes übrig,
als auszuharren und ständig auf ihn einzureden. Langsam
wurde das Knurren leiser und sein Gesicht freundlicher.
Ich redete weiter, und schließlich – vermutlich zum Ärger
einiger der Kollegen, die wohl mehr Aktion erwartet hatten
– rutschte Alexander mit den Vorderfüßen an mir herab,
ging einige Schritte knurrend zum nächsten
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