Der Wolf
Mädchen aus dem Zwinger – zusammen mit den drei
Brüdern von Mädchen – zum Spazierengehen herausnahmen, spielten die beiden Weibchen ausgiebig miteinander
und mit den drei Rüden. Wenn wir dann aber zum Gehege
zurückkamen, ging das Theater zwischen Andra und Anfa
von vorne los.
Im Mai ließ dann die Aggressivität Andras aus irgendeinem Grund deutlich nach. Das war vor allem an der neuerlichen Zunahme der Spielaktivität von Anfa und Mädchen
zu erkennen, und wenn einmal Andra doch gegen die soziale Aktivität der anderen beiden demonstrierte, wurde jetzt
der Protest von Anfa deutlich stärker. Es war nun interessant zu beobachten, daß die zunehmende soziale Freiheit der
beiden Unterdrückten gekoppelt war mit einer Häufung der
aggressiven Auseinandersetzungen. Dies war das erste Zeichen dafür, daß stabile Rangverhältnisse – wie auch immer
strukturiert – aggressives Verhalten verhindern, während
jede Veränderung dieser Beziehungen von einer Häufung
aggressiver Auseinandersetzungen begleitet ist.
Die Instabilität in den Beziehungen blieb bis in den Juni
hinein bestehen, beschränkte sich allerdings auf die beiden
älteren Weibchen. Mädchen hatte inzwischen ihre soziale
Freiheit weitgehend zurückerlangt, steckte ihren Schwanz
nicht mehr zwischen die Beine und spielte wieder recht
häufig. Am 29. Juni 1969 veränderte sich dann das Verhältnis zwischen den drei Wölfinnen schlagartig. Vormittags
hatten die Tiere alle untereinander im Regen recht ausgiebig gespielt, wobei diesmal Anfa immer wieder Vorstöße
in spielerischer Haltung gegen Andra richtete. Am Nachmittag kam es dann zu dem großen Kampf.
Auszug aus meinem Tagebuch vom 29. Juni 1969 :
»16.30 Uhr : Stelle einen Eimer mit Futter vor den Gartenzwinger. Die Wölfe sind sehr aufgeregt. Kleinere Beißereien, Knurren, Fauchen usw.
16.35 Uhr : Füttere die Pudel im Gartenzwinger. Die Aggressivität bei den Wölfen ist groß.
16.40 Uhr : Plötzlich, nach Angriff von Anfa, großer Kampf
zwischen Anfa und Andra. Mädchen ist sofort dabei und
kämpft gegen Andra. Es wird hemmungslos gebissen, der
Kopf nach dem Festbeißen kräftig geschüttelt, auch das
Gewicht des eigenen Körpers total zum Einsatz gebracht.
Es ist ein Ernstkampf. Durch die wütenden Angriffe der
beiden anderen ist Andra bald unterlegen und zieht sich
in defensiver Haltung in eine Ecke des Zwingers zurück.
Die anderen greifen weiter wie irrsinnig an. Totaler Einsatz.
Ich versuche, sie zu trennen. Es ist unmöglich. Die Rüden
stehen um die drei Weibchen, aber beteiligen sich nur am
Rande durch gelegentliches Schnappen nach einem vorbeilaufenden Weibchen. Die Pudel bellen wie verrückt. Ich hole
das Futter in den Zwinger, wodurch die Rüden abgelenkt
werden. Nur die drei Wölfinnen sind nicht zu trennen. Es
fließt schon viel Blut. Andra verteidigt sich kaum noch.
16.50 Uhr : Endlich gelingt es mir, die Wölfinnen zu trennen. Binde Anfa am Zaun fest. Sie zeigt keine Aggressivität mir gegenüber oder gegen die anderen Tiere. Im Gegenteil, sie wedelt mit dem Schwanz, leckt mich im Gesicht
usw. Dann sieht sie Andra im hinteren Teil des Zwingers,
und sofort gehen die Rückenhaare und der Schwanz wieder hoch. Sie kann sich losreißen und rennt auf Andra los.
Andra verteidigt sich jetzt aber intensiver in ihrer Ecke. Sie
knurrt laut und richtet kräftige Schnappbewegungen mit
Zähneklappern gegen Anfa. Ein paarmal gelingt es Anfa,
die Verteidigung zu durchbrechen und mit Körpereinsatz
durch Runterdrücken weitere Beschädigungsbisse gegen
Flanken und Hinterkörper von Andra zu richten. Mädchen
ist auch dabei. Mir ist völlig unklar, wie die Wölfinnen
es schaffen, in dem Durcheinander immer in das richtige
Bein, den richtigen Hals zu beißen.
17.30 Uhr : Die Verletzungen : Andra ist am ganzen Körper
verletzt, am Rücken, an den Flanken, und auch die Beine sind
voller Wunden. Anfa hat tiefe Wunden an Kopf, Schwanz
und Hals. Sie hinkt vorne links, und die linke Oberlippe ist
stark geschwollen. Mädchen hat leichtere Wunden am Kopf
und an der Schnauze. Anfa und Mädchen laufen lange in
Imponierhaltung. Die Rückenhaare sind gesträubt. Andra
bleibt in ihrer extrem defensiven Haltung.«
In den nächsten Tagen wurde Andra von den beiden anderen Weibchen immer wieder angegriffen. Dabei umstellten sie Andra, und während diese verteidigende Vorstöße
gegen die eine richtete, schoß die andere von hinten heran
und biß sie kräftig in die Hinterflanken. Daraufhin drehte
sich
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