Der Wolf
ihren bevorzugten
Sozialpartnern zumeist getrennt leben mußte.
Um alle Mißdeutungen von vornherein zu vermeiden :
Weder das Verhalten Anfas noch das Alexanders ist typisch
für einen Wolf. Bei diesen beiden handelte es sich um gezähmte Tiere, die sich Menschen gegenüber ähnlich wie
gegen Wölfe verhielten. Und das bedeutet auch Aggression.
Für natürlich, in freier Wildbahn aufwachsende Wölfe ist
der Mensch hingegen ein Feind und kein Sozialpartner.
Ich könnte jetzt viele Geschichten, die andere mit zahmen Wölfen erlebt haben, berichten. Fast immer ähneln
sie der von Anfa und Alexander : Wenn die Wölfe als Welpen überhaupt zahm wurden, waren sie in ihren ersten
Lebensjahren außerordentlich freundlich und machten
ihren Haltern viel Freude. Zu fremden Menschen waren sie
jedoch immer recht scheu und deswegen auch schwer zu
halten. Besondere Schwierigkeiten traten dann auf, wenn
die Wölfe die Geschlechtsreife erreichten, mit der sie aggressiv und gefährlich wurden. Jeder, der mit dem Gedanken
spielt, einen Wolf als Haustier aufzuziehen, sei hiermit
gewarnt.
Kommen wir aber nochmals zurück zu den Auseinandersetzungen unter den Rüden. Die soziale Rangordnung,
die sich zwischen ihnen im Winter 1969/1970 herausgebildet hatte, mit Alexander als Alpha-Rüden sowie Näschen
und Wölfchen gleichberechtigt auf dem zweiten Platz, blieb
nicht lange stabil. Schon im Februar 1970 bahnte sich Wölfchens »langer Marsch nach oben« an. Er, der bei den früheren Auseinandersetzungen nur eine Nebenrolle gespielt
hatte, fing langsam an, aggressiv zu werden, zuerst gegen
Näschen. Diese Auseinandersetzungen wurden immer häufiger und intensiver. Am 23. März kam es zu einem kurzen, recht intensiven Kampf zwischen Näschen und Wölfchen, den Wölfchen noch verlor. Alexander war zu der Zeit
im Stall eingesperrt und konnte nicht in den Kampf eingreifen. Einige Tage war Näschen schwach dominant über
Wölfchen, was sich aber bald durch Alexanders Unterstützung für Wölfchen änderte. Wölfchen kämpfte auf seinem
Weg nach oben vorerst nur gegen seinen nächsten Rivalen,
gegen Näschen, und war ihm schließlich deutlich überlegen. Die Position Alexanders hingegen blieb die ganzen
Sommermonate über unangefochten.
Allmählich zeigte Wölfchen dann die ersten Expansionstendenzen gegen Alexander, wie üblich zuerst im Spiel.
Die aggressiven Auseinandersetzungen nahmen schnell an
Häufigkeit und Intensität zu, während die freundlich-spielerischen Verhaltensweisen seltener wurden. Die Initiative
ging jetzt vorwiegend von Wölfchen aus, der sich ständig
in der Nähe von Alexander aufhielt und ihn bei jeder Gelegenheit mit gesenktem Schwanz und eingeknickten Beinen
angriff. Alexander zeigte fast nur noch Imponierverhalten,
griff aber Wölfchen kaum noch direkt an.
Am 1. Oktober 1970 kam es dann zu dem erwarteten
Machtkampf. Ich habe den Kampf leider nicht selber gesehen, aber der Tierwärter, Herr Zobel, ein sehr guter Beobachter, berichtete, daß Wölfchen Alexander plötzlich von
hinten sehr hart angriff, sich festbiß und kräftiges Beißschütteln zeigte. Näschen stieß hinzu und kämpfte, etwas
am Rande, gegen Wölfchen mit. Der Kampf dauerte ungefähr fünfzehn Minuten und soll sehr hart geführt worden
sein. Es gelang Herrn Zobel nicht, trotz Einsatzes eines kräftigen Wasserstrahls, vor dem die Wölfe sich sonst fürchten, sie zu trennen. Im Laufe des Kampfes wurde Alexander an mehreren Körperstellen schwer verletzt. Er zog sich
in den Stall zurück, wo er sich noch mehrere Stunden lang
verteidigen mußte.
Dies ist der einzige Ernstkampf aus meiner Erfahrung,
bei dem ein Einzeltier sich gegen zwei Gegner durchsetzen konnte. Vermutlich hatte Näschen nicht sehr aktiv in
den Kampf eingegriffen.
Auch in den folgenden Tagen versuchte Wölfchen, jetzt
neuer Alpha-Rüde, den verletzten Alexander im Stall anzugreifen. Alexander blieb ständig dort und wurde erst zwanzig Tage später wieder im Zwinger gesehen.
Das Verhältnis zwischen Wölfchen und Näschen war
ebenfalls durch häufige aggressive Auseinandersetzungen
gekennzeichnet. Wieder war es der Rangniedrige, also Näschen, der die aktivere Rolle spielte. Er ging laut knurrend
und zähnebleckend auf Wölfchen zu, der dann meistens
nur in Imponierhaltung den Kopf wegdrehte und so die
Angriffe Näschens abblockte. War Näschen jedoch einen
Augenblick unaufmerksam, griff ihn Wölfchen intensiv von
hinten an und biß, nach dem Aufschrei und den heftigen
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