Der Wolf
Gehege Welpen zur Welt. Doch unabhängig davon, ob
die Welpen adoptiert waren oder ob sie aus dem eigenen
Rudel stammten, verlief ihre Entwicklung im Rudel stets
gleich, ebenso ihre spätere Eingliederung in die Rangordnung der Älteren.
Über das stürmische Verhalten der Welpen gegenüber
den Alttieren habe ich schon berichtet. Vor allem wurde
jeder Wolf, der erneut zu ihnen kam, lebhaft begrüßt, ob
er nun Futter herbeitrug oder nicht. Waren die Älteren
vollgefressen, würgten sie meistens Futter hervor, auf das
sich die Welpen sofort stürzten. Besonders eifrige Fütterer waren in jedem Sommer die letztjährigen Jungwölfe. In
dieser Zeit zeigten die Welpen dann auch keine Präferenz
hinsichtlich des Objekts ihrer Zuneigung ; alle Rudelmitglieder wurden etwa gleich häufig damit bedacht.
Diese Indifferenz der Welpen in ihrer Haltung gegenüber
den Älteren wich indes bald einer zunehmenden Abstufung
ihrer Reaktion. Während sie die letztjährigen, jetzt juvenilen Rudelmitglieder sowie die Rangniedrigen unter den
Älteren bald nur noch um Futter anbettelten, zeigten sie
gegenüber den jeweiligen ranghöchsten, den Alpha-Wölfen des Rudels immer häufiger spontanes Demutsverhalten.
Offensichtlich lernten sie langsam die älteren Tiere nach
deren Rang im Rudel zu unterscheiden, und zwar bevor sie
selbst in irgendeiner Art und Weise diese Rangordnung zu
spüren bekamen. Dies geschah schon Ende des Sommers,
als die Welpen etwa vier Monate alt waren und noch vollen »Babyschutz« genossen. – Erst Monate später, im Spätherbst, wenn schon der erste Schnee fiel, wurde das Demutsverhalten gegenüber den Ranghöchsten auch nach deren
Geschlecht differenziert. Alle Jungwölfe bestürmten unabhängig von ihrem Geschlecht weiterhin den Alpha-Rüden ;
gegenüber dem Alpha-Weibchen hingegen verhielten sich
allmählich nur noch die weiblichen Jungtiere unterwürfigfreundlich. Demnach hatten die Jungwölfe jetzt ein weiteres wichtiges Merkmal der sozialen Struktur ihres Rudels
erkannt : die geschlechtsgebundene Rangordnung. Dieser
Lernprozeß erfolgte freilich nicht ohne Zutun der Älteren,
denn im Herbst wurde vor allem das Alpha-Weibchen deutlich aggressiver, und darunter mußten auch die jungen Weibchen manchmal leiden. Die männlichen Jungwölfe indessen
blieben von dieser Entwicklung vor der Ranzzeit, der Paarungszeit der Wölfe im Spätwinter, zunächst verschont.
Die »Halbstarkenbande«
Auch wenn das Alpha-Weibchen im Laufe des Winters bis weilen seinen Unmut gegenüber den heranwachsenden
Weib chen äußerte, blieb doch im großen und ganzen die
Beziehung zwischen den Ranghöchsten im Rudel und den
jetzt acht bis zehn Monate alten Jungwölfen frei von autoritären Strukturen. Dies galt namentlich dann, wenn im
Rudel zwischen Älteren und Jüngsten weitere Jahrgänge
vorhanden waren. Im ersten Winter, als nur die vier Altwölfe und ihre sechs Adoptivkinder im Gehege lebten, be gann deren Integration in die Rangordnung früher. In den
folgenden Jahren, als mehrere Altersklassen vorhanden
waren, bildeten die mittleren Jahrgänge so etwas wie einen
Puffer zwischen den Ranghöchsten und der inzwischen
herangewachsenen Jungschar, ein Umstand, der alljährlich die gleichen Folgen hatte : Aus den Jungwölfen wurde
die »Halbstarkenbande«, wie ich sie nannte.
Über die wachsende Aggressivität der älter werdenden
Jungwölfe habe ich schon berichtet. Zuerst richtete sich
diese Aggressivität ausschließlich gegen die Wurfgeschwister.
Dabei ging es allmählich nicht mehr nur um momentane
Konflikte, etwa um Futter, sondern zunehmend um Statusfragen. Zunächst jedoch wechselten die jeweiligen Kräfteverhältnisse ständig, so daß eine klare Rangordnung nicht
zu erkennen war. An einem Tag lief der eine Jungwolf mit
hochgerecktem Schwanz umher, am nächsten ein anderer.
Auch hierbei war eine zwischen den beiden Geschlechtern
deutlich getrennte Struktur nicht zu erkennen. Noch ging
alles durcheinander.
In ihrer Beziehung zum übrigen Rudel hingegen traten
die Jungwölfe nun immer geschlossener auf. Wie ich noch
schildern werde, nimmt der Druck von oben, seitens der
Ranghöchsten im Rudel, vor der Ranzzeit im Spätwinter
deutlich zu. Einzelne adulte, aber rangniedrige Rudelmitglieder können dann sogar aus dem Rudel vertrieben werden. Dies geschah nie ohne Zutun der »Halbstarkenbande«.
Wenn es jemanden im Rudel zu verprügeln gab – die »Halbstarken« waren stets dabei. Zwar griffen sie nie von
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