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Der Wolf

Der Wolf

Titel: Der Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Zimen
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Bayerischen Wald war nicht gegen die Wölfe eingestellt, im Gegenteil. Falls aber aufgrund weiterer Schauermärchen in der Presse der Fremdenverkehr leiden sollte,
konnte die Stimmung leicht umschlagen.
    Deshalb erzählte ich den Journalisten, wie harmlos Näschen sei und warum, und daß die Bevölkerung bei der Suche
nach ihm aktiv mithelfe. Zum Schluß bat ich, sie sollten
nicht sensationell übertreiben. Die Folge war überraschend:
Diesmal wurde das übliche Wolfsklischee völlig umgedreht.
So berichtete etwa »Bild« München von dem armen kleinen
Näschen, der allein und hungrig im Wald umherstreife und
nicht nach Hause finde, von seinem Herrchen, das ihn verzweifelt suche, und von all den guten Menschen, die ihm
dabei hülfen. Berichte anderer Zeitungen waren im Tenor
ähnlich, wenn auch nicht so dick aufgetragen.
    Wohl als Folge dieses allgemeinen Wohlwollens für den
Wolf erließ das Landratsamt im nahe gelegenen Grafenau
vorerst Schießverbot. Als Näschen aber nach drei Wochen
immer noch nicht zurück war, erhielten alle Grenzpolizeiposten, Zoll- und Forstdienststellen sowie die Jagdpächter
vom Landrat Schießgebot. Als Begründung gab er an, er
habe in Rußland sechs Wölfe geschossen und wisse, wie
gefährlich diese Tiere seien.
    Ein Sturm der Entrüstung brach aus. Näschen wurde
geradezu zum Symbol der mißverstandenen und geplagten
Kreatur. Von überall bekam ich Unterstützung angeboten
in meinem, wie man meinte, gerechten Kampf. Dabei verstand ich den Landrat recht gut. Wenn tatsächlich irgend
etwas passieren würde, wäre er mitverantwortlich gewesen. Ich wußte, daß Näschen wirklich harmlos war. Aber
wie sollte der Landrat das wissen ? Trotzdem war ich natürlich froh, als viele Jäger mich anriefen und mir versicherten, sie würden nicht schießen. Der Leiter einer Polizeistation erzählte, er habe den Abschußbefehl an seine Leute
weitergeben müssen, habe aber gleichzeitig nur den Schuß
mit dem Gewehr erlaubt, und Gewehre sollten auch weiterhin nicht auf der Streife getragen werden.
    In dieser Stimmung verbreiteter Geneigtheit wurde Näschen bald überall in Bayern, ja bis nach Norddeutschland
hin gesichtet. Eine Arztfrau schrieb mir aus der Eifel, sie
erahne den Wolf in ihrer Nähe; eine andere Frau rief aus
Oberbayern an und teilte mit, er heule nachts vor ihrem
Fenster. Auf meine Frage, woher sie wisse, daß das Heulen von einem Wolf stamme, antwortete sie : »Es hört sich
so schaurig an.« Was das wohl gewesen sein mag ? Feriengäste in Waldhäuser berichteten mir tagtäglich über »ganz
sichere« Beobachtungen, und eine ganze Reisegesellschaft
hatte vom Bus aus gesehen, wie der Wolf bei einem Bauernhaus Hühner jagte. Das Gespräch mit dem Busfahrer
ergab, daß ein Tier, wohl ein Fuchs oder ein Hund, über
ein Feld in Richtung Wald gelaufen war, wobei Tauben vor
ihm aufflogen.
    Auch einige Jäger ließen sich täuschen. Fünf Wochen
nach Näschens Verschwinden rief mich ein Jagdpächter
aus einem Dorf in der Nähe an. Er berichtete, einer seiner
Jäger, der schon in den Karpaten Wölfe beobachtet habe,
habe Näschen mehrmals mit hundertprozentiger Sicherheit
gesehen, das letztemal vor nur wenigen Minuten.
    Mir kam es etwas seltsam vor, daß Näschen, der sich bis
jetzt vermutlich nur im geschlossenen Wald entlang des
Grenzkammes aufgehalten hatte, plötzlich in bewohnte
Gebiete gezogen sein sollte, und dann sogar in ein so offenes Gelände wie um dieses Dorf. Trotzdem fuhr ich sofort
hin. Auf dem Dorfplatz fand ich den gleich mir skeptischen
Jagdpächter, mehrere Dorfbewohner und einige aufgeregte
Jäger versammelt. Wir suchten lange im Gelände – ohne
Erfolg. Ich wollte mich gerade verabschieden, als neue Kunde
vom »Wolf« kam ; diesmal war er von Bauern auf dem Feld
beobachtet worden. Wir rasten in mehreren Autos auf das
Feld hinaus. Die Bauern riefen uns zu und zeigten in Richtung auf einen kleinen Hügel. Wir rannten hinauf und
hörten dann von unten aufgeregtes Geschrei : »Der Wolf,
der Wolf!« Also alle wieder hinunter, wo wir ein Dickicht
umstellten, in dem der »Wolf« gerade verschwunden sein
sollte. Langsam ging ich in das Dickicht hinein – und trieb
einen kleinen zottigen Hund heraus, der irgendwo weggelaufen war und jetzt zitternd vor Angst, mit dem Schwanz
zwischen den Beinen, abzog.
    Ich berichte dies nicht in der Absicht, all jene Menschen,
die ja guten Willens waren, lächerlich zu machen, sondern
um zu zeigen, wie leicht man sich täuschen kann bei

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