Der Wolfsthron: Roman (German Edition)
»Bezüglich der Königin vielleicht?«
Amon war sich nicht sicher, wohin das alles führen würde, aber er spürte, dass Gefahr in der Luft lag. Sein Herzschlag pochte in seinen Ohren.
»Wir haben uns wegen Gerard Montaignes Aktivitäten in Tamron Sorgen gemacht«, sagte Amon. »Er hat eine sehr große Armee. Wir haben befürchtet, dass er sich nach Norden wenden könnte, wenn er seinen Griff um Tamron erst einmal gefestigt hat.«
Das schien nicht die Antwort gewesen zu sein, mit der Bayar gerechnet hatte. Er starrte Amon lange an, ohne mit der Wimper zu zucken. Dann nickte er schließlich. Er wirkte zufrieden. »Ganz recht. Wir teilen Eure Besorgnis natürlich.«
General Klemath beugte sich vor. »Ich bin überrascht, dass Euer Vater es für nötig gehalten hat, Euch aus diesem Grund nach Hause zurückzurufen. Der Schutz unserer Grenzen obliegt der Verantwortung der Armee – die natürlich vom Magierrat unterstützt wird.«
»Sehr richtig«, entgegnete Amon. »Aber wenn Montaigne nach Norden zieht, ist unser Platz hier. Die königliche Familie wird zusätzlichen Schutz benötigen, damit die Armee sich ganz auf ihre Aufgabe konzentrieren kann.« Er machte eine Pause. »Ich sehe, dass Micah ebenfalls früher nach Hause zurückgekehrt ist. Womöglich aus dem gleichen Grund?« Er sah Micah an und hoffte, dass sein Gesicht ihn nicht verriet. Zumindest sie beide – wenn nicht auch Lord Bayar – wussten nur zu genau, dass Micah Raisa aus Odenford entführt hatte.
Doch mit etwas Glück wussten die Bayars nicht, dass er davon wusste.
»Ich bin nach Hause zurückgekommen, weil ich zu diesem Zeitpunkt geglaubt habe, dass ich hier von Nutzen sein könnte«, sagte Micah. »Und weil es hier am Hof einige gibt, die ich vermisst habe.« Er lächelte Prinzessin Mellony an, und sie errötete und senkte den Blick.
Erneut spürte Amon einen Verdacht in sich aufsteigen.
»Ich hatte gehofft, bei meiner Rückkehr Prinzessin Raisa hier vorzufinden«, erklärte Amon. »Gibt es schon irgendeine Nachricht von ihr?«
»Nein«, antwortete Micah und sah seinen Vater an. »Die Erbprinzessin ist nach wie vor verschwunden.« Seine Miene war undurchdringlich.
»Aber es muss doch inzwischen irgendwelche Neuigkeiten über ihren Verbleib geben«, hakte Amon nach, während er Micahs Gesicht musterte. »Ich war zwar weit weg in Odenford, aber ich hatte angenommen, dass …«
»Es gibt keine Spur oder Nachricht von der Erbprinzessin, seit sie im Herbst aus dem Königinnenreich geflüchtet ist«, unterbrach Lord Bayar ihn. Sein Blick flackerte zu Micah – eine Warnung. Micah presste die Lippen zusammen und sagte nichts.
Darum ging es also. Weder Königin Marianna noch die Bayars hatten Mellony erzählt, dass ihre Schwester in Odenford aufgetaucht war. Und sie würden ihr auch nicht erzählen, dass Micah und Fiona Raisa zurück nach Fellsmarch bringen wollten – aber in Tamron verloren hatten. Es würde leichter sein, sie in der Thronfolge zu übergehen, wenn man seit ihrem Verschwinden vor einem Jahr nichts mehr von ihr gehört hatte – geschweige denn sie gesehen hatte.
Amon sah vom Vater zum Sohn und fragte sich, was Micah wohl Lord Bayar erzählt hatte. Micah reckte das Kinn und erwiderte Amons Blick, als wollte er ihn daran hindern, noch mehr zu sagen. Er musste den Verdacht hegen, dass Amon Raisa bei der Flucht nach Odenford geholfen hatte und dass sie dort zusammen auf der Akademie gewesen waren. Doch wenn er diesen Verdacht äußerte – das war Micah klar –, würde das nur dazu führen, dass sie beide mit dem Vorwurf des Verrates zu kämpfen hätten.
»Oh, ich vermisse Raisa so!«, sagte Mellony und wischte sich über die Augen. »Gerade jetzt sollten wir zusammen sein. Wir haben Vögel und Boten in alle Teile der Sieben Reiche geschickt«, fügte sie mit zittriger Stimme hinzu. »Ich weiß, dass meine Schwester zur Beerdigung unserer Mutter kommen würde, wenn sie könnte.« Sie atmete zitternd ein. »Ich befürchte das Schlimmste.«
Die Sieben Reiche befinden sich im Krieg, dachte Amon. Die Nachrichtenübermittlung ist gestört. Wie kannst du damit rechnen, dass Raisa eine Nachricht erhalten würde, auch wenn du selbst eine geschickt hast? Aber das sagte er nicht laut. Er wusste, dass er sich auf heiklem Terrain befand. Wenn Raisas Feinde den Eindruck gewannen, dass er nicht mitspielte, würde er nicht mehr lebend aus der Stadt rauskommen.
»Seit wann seid Ihr wieder zurück, Korporal Byrne?«, fragte Lord Bayar und
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