Der Wolfsthron: Roman (German Edition)
brauchte verschiedene Roben – eine für die eigentliche Krönungszeremonie, eine andere für den Ball und noch einige mehr für die unzähligen Feiern, die davor und danach stattfinden würden. Dabei war es natürlich unmöglich, ein Kleid zweimal zu tragen.
»Vielleicht könnte ich meine Kleider mit jemandem tauschen«, nörgelte Raisa. »Wir sollten nicht so viel Geld dafür ausgeben, wenn ich sie wahrscheinlich sowieso nur ein einziges Mal anziehen werde.«
Magret verdrehte die Augen. »Als wenn jemand in Eure Kleider passen würde«, sagte sie. »Und Ihr wiederum würdet in denen einer anderen Frau versinken. Eine Krönung ist etwas, das Ihr nur einmal erlebt, Eure Hoheit. So wie eine Hochzeit«, fügte sie demonstrativ hinzu.
Raisa sorgte dafür, dass Mellony genauso gut ausgestattet wurde wie sie. Sie hoffte, dass die vielen gesellschaftlichen Ereignisse ihre Schwester aufheitern konnten. Tatsächlich schien Mellony sich bei den Anproben, die Raisa nur mit Mühe überstand, köstlich zu amüsieren. Mellony liebte neue Kleider. Und ebenso wie Marianna liebte sie Partys.
Im Kathedralen-Tempel hielt Raisa ausgedehnte Sitzungen mit Redner Jemson, um die Krönungszeremonie zu proben. So wird mein Leben in Zukunft aussehen, dachte Raisa niedergeschlagen. Eine Zeremonie nach der anderen. Aber Redner Jemson war freundlich und witzig. Obwohl er die Krönung als ernste Angelegenheit betrachtete, half es, dass er sich selbst dabei nicht zu wichtig nahm.
Die Grauwölfe waren zu Raisas Leibwache abgestellt worden und würden daher während der Krönungszeremonie eine bedeutende Rolle spielen. Bei den Proben standen sie steif und feierlich da, die Stirn vor Konzentration gerunzelt. Dass sie ihre Freunde waren, machte es in gewisser Weise sogar noch schwieriger; Raisa wusste, dass sie es sich niemals vergeben würden, wenn sie an ihrem großen Tag irgendetwas falsch machten.
Raisa vermisste die lockere Kameradschaft mit den Wölfen. Obwohl sie jetzt beständig um sie herum waren, trennte sie der Standesunterschied voneinander. Es war schwer, sich in der Anwesenheit anderer zu entspannen, wenn diese sofort Haltung annahmen, sobald man auftauchte.
Amon hatte aus Odenford jenen Stock mitgenommen, den der Wasserläufer Dimitri ihr geschenkt hatte. Sie nahmen die Übungen im Stockfechten wieder auf und trainierten dreimal in der Woche im Innenhof der Soldatenunterkünfte. Es war ein gutes Training, aber noch wichtiger war ihr, dass sie in dieser Zeit mit Amon allein sein konnte, sich mit ihm unter vier Augen unterhalten konnte, ohne dass sie – wie innerhalb der Schlossmauern – mit Lauschern rechnen musste.
Vier Tage nach Han’s Berufung in den Magierrat kehrte Raisa von den Ställen zurück, nachdem sie mit Reid Demonai und einer Eskorte von Wachen einen langen Ritt durch das Vale unternommen hatte. Ihre Haut war gerötet und schweißnass, und ihre Muskeln zitterten, als sich die Anspannung der vielen Stunden im Sattel löste. Nightwalker und sie hatten sich an der Stalltür mit einem Kuss voneinander verabschiedet.
Natürlich wollte er mehr. Sie wünschte nur, sie könnte ein kleines bisschen mehr Leidenschaft in sich fühlen.
Talia Abbott und Trey Archer standen vor ihrem Zimmer Wache. Raisa blieb vor ihrer Tür stehen und lächelte Talia an. »Wie kommt Sergeant Greenholt zurecht?«, fragte sie. Pearlie Greenholt, Talias ardenische Freundin, war noch nie zuvor in den Fells gewesen. Die ehemalige Waffenmeisterin von Wien House war unter dem neuen Hauptmann Byrne zum Sergeant befördert worden.
»Es gefällt ihr ziemlich gut, Hoheit«, sagte Talia mit einstudierter Höflichkeit. »Danke der Nachfrage.«
Raisa wölbte eine Braue. »Wirklich?«
Talia kicherte. »Sie sagt, es ist hier einfach verflucht kalt, und dass sie es leid wäre, immerzu irgendwelche Abhänge hinauf- oder hinunterlaufen zu müssen. Und dann vermisst sie all das frische Obst und Gemüse, das man in Odenford das ganze Jahr über bekommen konnte. Sie sagt, dass sie von den vielen Rüben und dem Kohl ständig furzen muss.«
Raisa lachte; sie wusste, dass Pearlie gekränkt sein würde, wenn sie erfahren sollte, welche Geheimnisse Talia der Königin der Fells preisgab. Aber Talia hielt sich wenigstens nicht mit Formalitäten auf.
Als Raisa wieder in ihrem Zimmer war, erwartete sie bereits heißes Badewasser auf dem Brenner, das in der kühlen Luft dampfte, aber Magret war nirgendwo zu sehen. Vermutlich hat sie wieder Kopfschmerzen und sich
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