Der Wolfsthron: Roman (German Edition)
hingelegt, dachte Raisa. Sie gab die Anweisung, ihr ein leichtes Abendessen auf das Zimmer zu schicken, und zog müde ihre Reithosen, Jacke und Unterwäsche aus. Während sie ins heiße Wasser sank, kehrten ihre Gedanken zu jenen Angelegenheiten zurück, die sie beschäftigten, seit sie ihren Beratern gegenüber die Geduld verloren hatte.
Hatte sie die richtige Entscheidung getroffen, als sie Han Alister in den Magierrat berief?
War Han überhaupt in der Lage, ihr im Rat zu helfen, oder würde er als Außenseiter gemieden werden? Schlimmer noch – würde er wegen seines Hochmuts ermordet werden? Averill hatte klargestellt, dass er ihre Wahl missbilligte. Es war zwar das, was Han gewollt hatte, aber …
Sie musste eingeschlafen sein. Ein heftiges Klopfen an der Tür weckte sie; sie vermutete, dass jemand das Essen brachte. Sie kletterte aus der Badewanne, trocknete sich ab und zog ihren Morgenmantel an. Dann ging sie ins Wohnzimmer, aber als sich das Geräusch wiederholte, begriff sie, dass es nicht von außen kam, sondern von der Tür, die zu Han’s Gemächern führte.
Sie blickte zur Tür. »Was willst du?«, fragte sie.
»Ich glaube, wir sind verabredet, Hoheit«, sagte Han von der anderen Seite.
Verabredet? Oh, ja. Es war Zeit für ihre anberaumte Unterrichtsstunde.
Beim Blute und den Gebeinen. Sie war nicht bereit, noch einen weiteren Abend lang den kalten, distanzierten Han Alister zu ertragen. Es war einfach zu schmerzhaft.
»Ich glaube, jetzt ist kein guter Zeitpunkt«, sagte Raisa und starrte auf ihre nackten Zehen hinunter, die unter ihrem Morgenmantel hervorlugten. »Können wir uns gegen Ende der Woche treffen?«
»Ich muss mit dir sprechen. Jetzt «, erwiderte er schroff. Nach einer Pause fügte er hinzu: »Wir haben eine Vereinbarung, oder?«
Raisa seufzte. »Ja«, antwortete sie widerwillig. »Haben wir.« Sie schob den Riegel von der Tür zurück und öffnete sie. Han drückte sich an ihr vorbei und marschierte ins Zimmer; er schien gar nicht zu bemerken, wie sie gekleidet war.
Aber sie bemerkte seine Kleidung. Ihre Schneider waren fleißig gewesen. Er trug einen blauen Seidenumhang, der perfekt zu seinen Augen passte, und eine exakt sitzende schwarze Hose.
Vielleicht sollte ich sie bitten, ihn in Sackleinen zu kleiden, dachte sie. Dann fiele es mir leichter, ihm zu widerstehen.
Er trat zum Fenster, legte seine Hände auf das steinerne Fensterbrett und sah hinaus über die Stadt. Han’s Rücken war kerzengerade, seine Schultern angespannt.
Er ist wütend, dachte Raisa. Was jetzt?
»Ich habe was zum Abendessen bestellt«, sagte sie. »Hast du schon gegessen? Wir können uns beim Essen unterhalten.«
»Ich bin nicht hungrig«, entgegnete er und starrte weiterhin aus dem Fenster.
»Hör zu«, sagte Raisa, die allmählich die Geduld verlor. »Es macht keinen Sinn, uns zu treffen, wenn du …«
»Ich habe gehört, dass ich eine Burg am Feuerlochfluss besitze«, unterbrach Han sie, ohne sich umzudrehen. »Und einen Titel.«
»Oh. Ja«, beeilte Raisa sich zu sagen. »Ich wollte es dir die ganze Zeit erzählen, aber dann habe ich dich nicht mehr gesehen, seit ich die Einzelheiten ausgearbeitet habe. Die Burg heißt Ravengard. Sie ist von angenehmer Größe, aus Stein und Holz gebaut, muss aber noch etwas instand gesetzt werden. Dazu gehört ein wenig Besitz, gute Jagdgründe und Weideland. Ein paar Außengebäude. Für den Ackerbau eignet sich das Gelände nicht so gut, aber …«
»Findest du nicht, dass es eine gute Idee gewesen wäre, mir das mitzuteilen?«, fragte Han; jetzt drehte er sich um und sah sie an. »Alle am Hof reden darüber. Ich habe es als Letzter erfahren.«
»Ich wollte es dir ja sagen«, erklärte Raisa. »Ich habe es einfach vergessen. Und ich wusste auch nicht, dass es schon bekannt geworden war.« Aber natürlich war es das. Gerüchte verbreiteten sich am Hof ebenso schnell wie das Nachtjucken in Ragmarket.
»Ich dachte, du würdest dich darüber freuen. Ein Heim zu haben, meine ich«, fügte sie lahm hinzu. Sie hatte gehofft, dass der Besitz und der Titel helfen würden, die Kluft zwischen ihnen zu verringern.
»Vielleicht würde ich das auch, wenn es anders gelaufen wäre.« Er schüttelte den Kopf. »Begreifst du denn nicht? Ich wirke wie ein Dummkopf, weil ich nichts davon gewusst habe. Als würdest du einen Günstling beschenken, nicht als würdest du eine Verpflichtung einhalten.«
Raisa zuckte zusammen und biss sich auf die Lippe. »Ich hatte es satt,
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