Der Wolfsthron: Roman (German Edition)
milchweißen Ozean durchwaten.
Schließlich ließen sie die Bäume überraschend hinter sich und ritten auf eine kleine Lichtung, die im Schutz einer hohen, senkrecht aufsteigenden Felswand lag. Eine massive kleine Holzhütte mit steinernem Kamin und schneebedecktem Schindeldach lehnte an dem Felsen; daneben befand sich eine Art Schuppen für die Pferde. Raisas Stute wurde langsamer, als ahnte sie, dass sie sich schon bald entspannen konnte. Raisa strich sich die Schneeflocken von den Wimpern und starrte benommen auf das Häuschen; sie fürchtete, dass es genauso schnell wieder verschwinden würde, wie es gekommen war.
Die erleichterten Wachen saßen ab, schüttelten sich den Schnee herunter, der sich auf ihnen gesammelt hatte, und führten dann die Pferde in den Schuppen.
Switcher stampfte ungeduldig mit dem Fuß auf, aber Raisa blieb im Sattel. Sie blinzelte zur Hütte hin; irgendetwas wirkte falsch an dem Anblick, der sich ihr bot. Sie erhaschte den schwachen Geruch von Holzrauch in der Luft, die so kalt war, dass das Atmen fast schmerzte.
Und dann konnte sie sie sehen. Sie kamen aus dem wirbelnden Weiß und sprangen auf sie zu, mit schneeverkrusteten Gesichtern und Hälsen und warnend funkelnden Augen. Wölfe, Dutzende, wie es schien. Der Wald wimmelte nur so von diesen grauweißen Wesen, die jetzt – angeführt von einer grauen Wölfin mit grauen Augen – auf die Lichtung strömten.
Diese Tiere waren ihre Ahnen – die Grauwolf-Königinnen. Und sie warnten sie davor, dass das Königinnen-Geschlecht in Gefahr war.
Byrne, der ebenfalls noch im Sattel saß, drängte sein Pferd näher an ihres. »Eure Hoheit? Möchtet Ihr, dass ich Euch beim Absteigen helfe?« Der Hauptmann richtete seine Aufmerksamkeit ganz auf sie; sein Kopf war geneigt, als wollte er eine weitere Frage stellen.
Sie legte ihm eine Hand auf den Arm, um ihn davon abzuhalten, und deutete mit der anderen zur Hütte. Ihre Zähne klapperten so heftig, dass sie die Worte kaum herausbrachte. »Byrne. Kein Schnee … der Schornstein … vor der Tür.«
Er folgte ihrem Blick und begriff. Vom Schornstein stieg kein Rauch auf, aber der Schnee um ihn herum war trotzdem geschmolzen. Unaufhörlich trieb der Schnee gegen die Holzhütte, aber direkt vor der Tür lag keiner. Das bedeutete, dass jemand darin war. Oder in der Nähe. Allerdings würde niemand bei einem solchen Sturm freiwillig diesen Schutz aufgeben. Oder das Feuer ausmachen. Es sei denn, es wollte jemand seine Anwesenheit verbergen.
Im selben Moment, in dem Byrne eine Warnung schrie, war von den umstehenden Bäumen das Surren von Armbrüsten zu hören. Die Soldaten, die bereits festen Boden unter den Füßen hatten, blickten überrascht auf. Einige von ihnen starben gleich an Ort und Stelle; ihr dunkles Blut dampfte, als es auf den Schnee spritzte. Ein paar anderen gelang es, sich wieder auf die Pferde zu schwingen und auf die Bäume zuzupreschen, während sie ihre Bögen aus den Satteltaschen zerrten und mit behandschuhten Händen versuchten, sie zu spannen. Es waren nicht viele.
Raisa saß wie versteinert da, als wäre sie die Zuschauerin eines Schauspiels, das sich vor ihren Augen entfaltete. Bis Byrne ihren Kopf nach unten drückte. »Duckt Euch und folgt mir!«, knurrte er und machte es ihr vor, indem er sich dicht an den Hals seines eigenen Pferdes schmiegte und dem Wallach die Fersen in die Flanken schlug. Byrne vorneweg, schlängelten sie sich über die Lichtung. Raisa zuckte zusammen, als etwas dicht an ihrem Ohr vorbeischoss und die Haut in ihrem Nacken zu brennen begann. Sie presste ihr Gesicht an Switchers Hals. Ihr Herz schrie regelrecht vor Angst.
Als sie die ersten Bäume erreichten, tauchte plötzlich ein Schatten aus dem Schneegestöber auf; ein Mann, der zu Fuß war und ein großes Schwert schwang. Switcher schrie und bäumte sich auf, die Klinge verfehlte Raisas Kopf und grub sich in die Schulter des Ponys. Raisa erhaschte einen Blick auf ein grinsendes, bärtiges Gesicht, als der Mann nach ihr griff und mit einer Hand ihren Umhang packte.
Ihre Blicke begegneten sich, und ein Ausdruck verblüfften Erkennens zuckte über das narbenübersäte Gesicht des Angreifers. Auch Raisa kam der Mann eigenartig vertraut vor.
Doch jetzt hatte sie keine Zeit, lange darüber nachzudenken. Raisa riss Switchers Kopf herum, stellte sich im Steigbügel auf und rammte dem Angreifer den Stiefel gegen das Kinn. Sein Kopf zuckte nach hinten, und er verschwand aus ihrem Blickfeld, während
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