Der Wolfsthron: Roman (German Edition)
»Ich habe nicht solche Verbindungen zu den Clans wie Ihr oder Euer Vater.« Er machte eine Pause. »Unabhängig davon, ob sie damit recht haben oder nicht, scheinen die Demonai davon überzeugt zu sein, dass Marianna Euch beiseiteschieben will. Ich glaube, wir können davon ausgehen, dass sie sich auf einen Krieg vorbereiten.«
Raisa zog ihren Mantel enger um sich. Die Sonne verschwand hinter einer Wolke, und schlagartig wirkte der Wind viel schneidender.
Was Byrne daran zu erinnern schien, worauf es jetzt am meisten ankam. »Wir sollten uns besser wieder auf den Weg machen, um das Tageslicht zu nutzen.« Er verschränkte die Finger ineinander und hielt Raisa seine Hände so hin, dass sie einen Fuß darauf setzen und auf ihr Pony steigen konnte. Dieses Mal nahm sie das Angebot an.
KAPITEL VIER
Ein herzliches Willkommen
G egen Ende des Tages waren sie immer noch dabei, zum Marisa-Pines-Pass hinaufzusteigen, zu dem großen südwestlichen Tor der Fells. Im Osten färbte sich der Himmel indigoblau, und knapp über dem Horizont tauchten die ersten Sterne auf. Byrne richtete den Blick auf einen grauen Wolkenstreifen im Nordwesten. »Beim Blute des Dämons«, murmelte er. »Noch mehr Schnee. Und das noch vor morgen früh. Es hat uns gerade noch gefehlt, dass wir von einem Sturm aufgehalten werden.« Er musterte die Baumwipfel und versuchte abzuschätzen, wie stark der Wind war und aus welcher Richtung er kam. »Wir schaffen es heute Nacht ganz sicher nicht mehr durch den Pass, also sollten wir irgendwo Unterschlupf finden, ehe der Sturm losbricht.«
Sie ließen ihre Pferde schneller gehen, während sie auf eine Hütte am südlichen Ende des Passes zusteuerten, die Byrne kannte und die ihnen Schutz vor dem Wind und dem Schneetreiben bot. Raisa befand sich jetzt in einer Art erstarrter Benommenheit; sie hatte die Wollkapuze tief ins Gesicht gezogen und nutzte selbst das letzte bisschen Wärme, das Switcher ihr bescherte.
Sie waren noch weit von ihrem Ziel entfernt, als der Wind bereits deutlich stärker wurde. Er wirbelte den feinen Pulverschnee vom Boden auf, riss ihn von den Bäumen und schleuderte ihn den Reitern ins Gesicht. Bald darauf war es dunkel, und dann wurde es sogar noch finsterer, als Wolken über den Himmel rasten und das Licht der Sterne verschluckten. Von dem aufgehenden Mond war keine Spur zu sehen. Dann fing es an zu schneien, erst nur ein wenig, dann immer mehr, bis winzige Graupelperlen auf ihrer ungeschützten Haut brannten und ihnen den Weg zusätzlich erschwerten.
In Odenford hatte es völlig gereicht, Handschuhe aus Ziegenleder zu tragen; jetzt schob Raisa erst die eine, dann auch noch die andere Hand unter ihren Umhang und lenkte Switcher mit den Knien. Byrne, dem nichts zu entgehen schien, reichte ihr daraufhin ein Paar lange wollene Reithandschuhe, deren Innenseite aus Wildleder bestand – zweifellos clangefertigt. Dankbar streifte Raisa sie über.
In der wirbelnden Dunkelheit waren die Pferde jetzt nur noch schemenhaft zu erkennen. Byrne verband alle mit einem Seil, damit sie einander nicht verlieren konnten. Er selbst schien, was die Richtung anging, voll und ganz auf seinen Instinkt zu vertrauen. Es blieb ihnen gar nichts anderes übrig, als weiterzureiten, denn sie mussten unbedingt Schutz vor dem immer stärker brausenden Sturm finden.
Raisa fühlte sich auf seltsame Weise an den Frühlingstag vor etwa einem Jahr erinnert, als sie mit ihrer Mutter, ihrer Schwester Mellony, Byrne und Lord Bayar in die Gebirgsausläufer gezogen war, um dort zu jagen. Ein Waldbrand, der von den Bergen heruntergekommen war, hatte sie gezwungen, Zuflucht in einer Schlucht zu suchen. Vor lauter Rauch und Asche hatte sie kaum das Pferd vor ihr sehen können, und dann war es so glühend heiß geworden und die Luft so dick, dass sie kaum noch hatte atmen können. Jetzt kam ihr die Luft so dünn vor, als hätte sie keinerlei Substanz, und sie brannte in der Nase. Die Kälte betäubte alles.
Lord Bayar, Micah und seine Vettern, die Mander-Brüder, hatten ihnen damals das Leben gerettet, indem sie das Feuer mithilfe von Magie gelöscht hatten.
War das alles wirklich erst kaum ein Jahr her?
Switcher pflügte verbissen hinter dem Wallach vor ihr durch den Schnee. Die Nüstern und die Mähne der Stute waren inzwischen eisverkrustet, ihre Flanken dampften in der eiskalten Luft. Der feine Pulverschnee war so tief, dass es Raisa manchmal so vorkam, als würden die Pferde einen bis zu ihren Flanken reichenden,
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